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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Hedwig war zusehends ruhiger geworden, vielleicht nur die Wirkung der Tablette. Als ich kurz nickte, fuhr sie fort, wiederholte das, was ich bereits von Günther gehört hatte. Der Student verwickelte sich in Widersprüche, gab immer nur das zu, was die Polizei ihm beweisen konnte. Angeblich hatte er Nadine Otten zu Anfang des Jahres ein paarmal mit in seine Wohnung genommen, nur weil sie ihm leid getan hatte, als sie da in der Kälte vor dem Schaufenster stand. Aber auch das hatte er erst eingestanden, nachdem man ihn mit den Aussagen seiner Nachbarn konfrontiert hatte. Hedwig seufzte auf, blickte versonnen vor sich hin. Vielleicht sah sie jetzt Kaninchenställe.
    »Ich hätte ihr so ein Tier kaufen sollen«, murmelte sie.
    »Aber ich dachte, sie ist so unordentlich, räumt ja nicht mal ihr eigenes Zimmer auf. So ein Tier muß gepflegt werden, Käfig sauberhalten und so. Das bleibt dann an mir hängen.« Ich wußte nicht, was ich ihr antworten sollte. Sie wartete auch nicht auf eine Antwort, sie preßte kurz die Lippen aufeinander, sprach leise weiter. Angeblich hatte der Student Nadine Otten nur deshalb nicht gleich erkannt, weil die Polizei ihm bei ihrer ersten Befragung ein schlechtes Foto gezeigt hatte. Und als er sich dann wieder erinnerte, wollte er dem Kind nur zweimal bei den Mathematikaufgaben geholfen haben, umsonst. Und anschließend hätte er dann Geld vermißt, aber er sei nicht gleich darauf gekommen, wer es genommen hatte. Er hätte ja noch mehr Nachhilfeschüler gehabt. Wieder nickte Hedwig ganz versonnen vor sich hin.
    »Manchmal frage ich mich, wie ihm zumute ist. Er muß doch wissen, daß er nicht durchkommt mit seiner Lügerei. Sie haben in seiner Wohnung einen Bleistift gefunden, er war noch neu, aber das Ende war angekaut. Das machte sie immer, wenn sie ihre Aufgaben nicht lösen konnte, kaute auf den Stiften herum. Ich hatte eine Packung mit fünf Bleistiften gekauft, vor drei oder vier Wochen. Da muß sie sich einen rausgenommen haben. Die anderen lagen noch hier im Schrank. Das allein reicht noch nicht als Beweis. Er hätte ja auch so eine Packung haben können. Aber da waren die Abdrücke von ihren Zähnen. Ihr war ein kleines Stückchen von einem Zahn abgebrochen. Und weißt du, wann das abgebrochen ist? Samstags! Da hatte sie im Bad so rumgematscht, und dann ist sie auf den nassen Fliesen ausgerutscht und hat sich am Waschbecken den Mund angeschlagen. Und auf dem Bleistift ist das deutlich zu erkennen. Als sie ihm das an den Kopf geworfen haben, da gab er auch zu, daß sie in der Woche noch mal bei ihm war. An den genauen Tag kann er sich angeblich nicht erinnern. Es könnte der Montag, es könnte aber auch der Mittwoch gewesen sein.« Hedwig schluchzte auf, fing sich jedoch gleich wieder.
    »Er hat sich schon mal an einem Kind vergriffen. Da mußten sie ihn laufenlassen, weil das Mädchen vor Gericht sagte, es hätte sich freiwillig mit ihm eingelassen. Und es war auch schon etwas älter, vierzehn glaube ich. Er hat behauptet, ihm hätte das Mädchen gesagt, sie sei schon sechzehn. Und sie konnten ihm das Gegenteil nicht beweisen.« Hedwig sprach jetzt ganz ruhig, fast so, als ginge sie das alles nichts mehr an.
    »Aber jetzt kommt er nicht mehr davon. Wolfgang erzählt mir jeden Abend, ob sie weitergekommen sind. Er selbst hat mit dem Fall nichts mehr zu tun. Er war nur am Anfang mit dabei, als sie die Kommission gebildet haben. Die ist schon wieder

aufgelöst, sie haben ihn ja. Und seine Kollegen halten Wolfgang natürlich auf dem laufenden. Sie tun, was sie können, und die Hefte hier, die könnten wichtig sein. Dafür kommt ein Schriftsachverständiger, der sieht sich das an. Viermal hat er an meiner Stelle unterschrieben. Das leugnet er auch. Einmal gibt er zu. Die anderen Unterschriften, damit will er nichts zu tun haben.« Hedwigs Ruhe war künstlich erzeugt, ich wußte das. Aber trotzdem war sie ansteckend, griff auf mich über, erstickte das Feuer in meinem Bauch und vertrieb den Rauch aus meinem Kopf. Es war alles in Ordnung. Die Polizei hatte den Mörder verhaftet, und sie tat alles, um ihn zu überführen. Ich sprach mit Hedwig so, wie ich tausendmal vorher mit ihr gesprochen hatte. Es kam mir nur ein bißchen unwirklich vor, weil wir über einen Mörder sprachen, über einen, der leugnete.
    Kurz nach fünf klingelte das Telefon. Es stand im Flur. Hedwig ging hinaus und rief nach mir. Mutter war am Apparat, ihre Stimme war eine Mischung aus Erleichterung, Glück und

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