Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war
dass ich ihm aus Verzweiflung helfen will.«
»Sie haben die Situation erfasst, Macy. Lassen Sie uns ein Treffen vereinbaren. Wir haben viel zu besprechen.«
Später an diesem Nachmittag traf sich Macy mit drei der Abweichler in einer Pumpstation unter dem See des Friedhofsparks. Ein vergessener Ort, den niemand sonst jemals aufsuchte. Ein verborgener Treffpunkt, der angemessen feucht und kalt war. Auf dem Betonboden hatten sich Pfützen gesammelt, das Wasser tropfte träge von den Rohren an der Decke, und das einzige Licht stammte von Leuchtgraffitis, die über die Wände zuckten wie Schwärme leuchtender Schlangen und Spinnen. Nachdem Macy ihre Bitte vorgebracht hatte, zuckte Sada Selene, die Anführerin der Abweichler, die Achseln und sagte: »Ist das alles?«
»Es bedeutet mir sehr viel«, sagte Macy.
Die Abweichler gingen in eine Ecke des Raums und berieten sich kurz miteinander. Dann kam Sada zurück und sagte: »Wir erhalten die Filmrechte.«
»Warum nicht?« Es wäre Macy nie in den Sinn gekommen, dass ihre Flucht irgendjemanden interessieren könnte.
»Da können wir auf jeden Fall etwas draus machen«, sagte Sada fröhlich. »Das wird ein Heidenspaß.«
Obwohl sie Macy um etwa einen halben Meter überragte, war Sada erst fünfzehn und immer noch von dem schlichten Enthusiasmus und der sicheren Zuversicht von jemandem erfüllt, der in seinem Leben noch keine schlechten Erfahrungen gemacht hatte. Macy hegte gewisse Zweifel – der Treffpunkt, den die Abweichler gewählt hatten, deutete bereits darauf hin, dass sie Macys sehr reales Problem mit der banalen Situation in einem billigen Melodrama verwechselten. Sie befürchtete, Sada und ihre Freunde könnten womöglich über das Ziel hinausschießen und irgendeine große Geste planen, die sie in noch größere Schwierigkeiten bringen würde.
»Reden wir über die Einzelheiten«, sagte sie. »Überzeugt mich davon, dass ihr mir wirklich helfen könnt.«
Danach musste sie nur noch auf Loc Ifrahims Ankunft warten. Sie fand ein Zimmer in dem Wohnheim, das East of Eden für Durchreisende bereithielt, und verbrachte einen Großteil ihres Tages in Cafés in unterschiedlichen Dörfern, ohne auf die Seitenblicke der anderen Gäste zu achten. Inzwischen wussten wahrscheinlich alle, dass sie ihre Wohnung und ihren Arbeitsplatz verloren hatte, aber sie versuchte, sich davon nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Einmal wurde sie von einer Drohne verfolgt, aber von Jibril oder jos Anhängern war nichts zu sehen. Am Abend des zweiten Tages ihres inneren Exils, wie sie es inzwischen nannte, öffnete sie die Tür ihres armseligen kleinen Zimmers und sah Loc Ifrahim mit überkreuzten Beinen auf ihrem ausgeklappten Bett sitzen. Er musterte Macy von Kopf bis Fuß und sagte ihr, dass sie gesund und glücklich aussehe. »Viel besser als in den Aufnahmen von diesen sogenannten Vorführungen, an denen Sie gegen Ihren Willen teilnehmen mussten. Anscheinend ist Ihnen der Aufenthalt im Gefängnis gut bekommen.«
»Hier wird es nicht ›Gefängnis‹ genannt.«
»Aber das ist es nun einmal in Wirklichkeit, oder? Ich nehme an, Sie wurden verprügelt«, sagte Loc Ifrahim.
»Ich habe genauso ausgeteilt, wie ich einstecken musste«, sagte Macy und fragte sich, woher er das wusste. Sie war überrascht, wie ruhig sie sich fühlte. Sie schloss die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen, denn wenn das Bett heruntergeklappt war, konnte man in dem winzigen Raum nirgendwo anders hin.
»Hat die Stadt Sie vor der festgesetzten Zeit freigelassen, weil es für Sie dort drin nicht mehr sicher war? Oder hatten sie womöglich Mitleid mit Ihnen?«
Loc Ifrahim trug grellgelbe Leggins und eine schwarze Tunika. Seine Haare waren immer noch zu mit Perlen verzierten Zöpfen geflochten, und sein falsches Lächeln war so strahlend und bezaubernd wie eh und je.
»Sie haben mich freigelassen, weil sie wussten, dass Sie mit mir würden sprechen wollen«, sagte Macy. »Ich soll für sie herausfinden, weswegen Sie hier sind.«
»Dann können Sie ihnen sagen, dass mein Besuch hier genau das ist, was er zu sein scheint: eine Erkundungsmission. Ein behutsames Vortasten. Ob Sie es nun glauben oder nicht, wir versuchen immer noch, Handelsbeziehungen mit den Außenweltlern aufzunehmen. Was meinen Besuch bei Ihnen angeht – ich hatte ein wenig freie Zeit und dachte mir, ich treffe mich mit einer Bürgerin Großbrasiliens, die in der Fremde in Schwierigkeiten geraten ist. Sie sind auf ziemlich üble
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