Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war
etwa«, sagte Macy.
»Die Sache ist«, sagte Sada Selene, »dass die Kosmoengel den Status quo nicht gefährden. Deswegen werden sie vom System toleriert, während das System uns hasst. Weil wir die Kontrolle über die weitere Entwicklung der menschlichen Evolution übernehmen wollen. Denn wahre Transhumane sind ständig im Wandel begriffen. Sie entwickeln sich in hundert verschiedene Richtungen weiter. Kein sogenanntes Utopia kann dem standhalten, weil utopische Gesellschaften
ihrem Wesen nach statisch sind. Sie hassen Veränderung, weil diese ihrem Idealbild der Perfektion zuwiderläuft.«
Macy mochte die Abweichler, weil sie so ziemlich die einzigen Menschen in East of Eden waren, mit denen sie ein normales Gespräch führen konnte. Aber obwohl sie behaupteten, gnadenlose Rebellen zu sein, waren sie in Wahrheit nur ein Haufen von der Gesellschaft entfremdeter Jugendlicher, die eine schwierige Phase durchmachten. Trotz des ganzen Geredes darüber, dass sie außerhalb der Gesetze leben wollten, und der offenen Verachtung, die sie den klaustrophobischen Richtlinien und Traditionen der Siedlung entgegenbrachten, hatten sie nie versucht, etwas daran zu ändern. Und es war unwahrscheinlich, dass sie tatsächlich die Siedlung verlassen würden, wenn sie volljährig waren, wie sie es immer so großspurig behaupteten. Sie weigerten sich, am bürgerlichen Leben teilzunehmen, aber sie kampierten in leeren Wohnungen, ernährten sich von billiger Hefe und allem, was sie sonst noch bei den Passanten erbetteln konnten, atmeten die Luft der Siedlung, tranken ihr Wasser und benutzten ihr Netz. Sie waren intelligent und herausfordernd, und sie unterstützten Macy, weil sie die Feindin ihres Feindes war. Sie veröffentlichten positive Kommentare über sie auf Jibrils Webseite und sagten ihr, dass sie immer auf sie zählen könne, wenn sie jemals in Schwierigkeiten geraten sollte.
Eines Tages saß Macy am frühen Abend an der Theke von Jon Hos Café, als sie Jibril und zwei von jos Anhängern auf sich zukommen sah. Das Café befand sich an einem Ende der Terrasse des Speisesaals, der im obersten Stockwerk des größten Wohnblocks von Lots Los untergebracht war. Von dort blickte man durch die sechseckigen Scheiben des Dorfzeltes auf die Pinienwälder auf der anderen Seite der Felsspalte. Eine schöne Aussicht, auch wenn die Bäume sehr klein waren, höchstens fünf oder sechs Meter hoch, und
lediglich ein paar Hundert Meter entfernt, unter der graublauen Wölbung des Daches. Der Anblick erinnerte Macy an das Zimmer, das sie sich mit Jax Spano in Pittsburgh geteilt hatte, als sie noch frisch verliebt gewesen waren: Wenn man in der Mitte stand, konnte man die Wände zu beiden Seiten berühren, und zwar nicht nur mit den Fingerspitzen, sondern mit der ganzen Handfläche. Das Café war ebenfalls klein und wunderbar kompakt. Eine kurze Theke, die mit gespaltenem Bambus bedeckt war, der so glatt poliert war, dass man sich darin fast spiegeln konnte; eine Bank, die lang genug für sechs Gäste war; und eine zischende stählerne Kaffeemaschine, die Jon Ho nach dreihundert Jahre alten Bauplänen selbst konstruiert hatte.
Der Kaffee war kein echter Kaffee – Kaffeesträucher hätten in den Farmtunneln zu viel Platz eingenommen, weswegen die Außenweltler im Allgemeinen eine bestimmte Moosart anbauten, die solcherart genetisch verändert war, dass sie ölige, koffeinhaltige Knöllchen ausschied -, aber es war der beste, den Macy je getrunken hatte, seit sie die Erde verlassen hatte. Und Jon zauberte mit Hilfe einer kleinen Herdplatte schmackhafte Snacks und gestattete seinen Kunden, eine Flasche ihres Lieblingslikörs oder -schnapses hinter der Theke aufzubewahren. Er hatte eine Zeit lang als Schiffsmechaniker gearbeitet und war weiter gereist und toleranter als die meisten anderen Einwohner von East of Eden. Er hörte sich gern Macys Geschichten über das Leben auf der Erde an, und sie liebte es, sich mit ihm darüber zu unterhalten, wie man das Moos manipulieren könnte, um die Qualität des Kaffees zu verbessern. Die Kunst, mit Hilfe winziger Veränderungen im Stoffwechsel der Pflanzen das genaue Gleichgewicht von Dutzenden verschiedenen Flavonoiden, Alkoholen, Aldehyden und ätherischen Ölen zu erreichen, ähnelte dem Ausbalancieren der Mischung verschiedener
Mikroorganismen, um den fruchtbarsten und lebendigsten Schlamm zu erzeugen.
Jon erzählte Macy gerade von seinen derzeitigen Versuchen, eine Moosart heranzuzüchten, die den
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