Der stille Sammler
Schießerei vor dem Gerichtsgebäude angerufen hatte. Selbst wenn sie bei ihren Eltern zu Hause war, selbst wenn Mutter oder Vater schwer erkrankt war, hätte sie in den Nachrichten davon gehört und mich angerufen. Ich wählte die Nummer von Maisie Dickens.
»Maisie! Ich habe endlich mit Agent Coleman gesprochen.«
»Gut. Als sie sich das letzte Mal per E-Mail gemeldet hat, habe ich ihr geschrieben, dass Sie nach ihr suchen.«
Ich war nicht sicher, ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht war, doch es war alles, was ich hatte. »Danke. Offenbar hat es ihr gutgetan. Sie hat mich eingeladen. Wir treffen uns bei ihr zu Hause.«
»Ich nehme an, sie wird erst mal Urlaub nehmen. Weiß der Himmel, wie viele Urlaubstage sie inzwischen gesammelt hat.«
Ich war erleichtert. Maisies Mitteilungsbedürfnis kam mir gerade recht. »Stimmt. Und ganz unter uns – sie braucht eine Frau als Gesprächspartnerin.«
»Oh. Hat es damit zu tun, dass sie von dem Lynch-Fall abberufen wurde? Er wurde niedergeschossen, nicht wahr? Ich weiß, dass Laura ziemlich fertig war, aber sie redet mit mir nie über diese Dinge.«
»Das ist wieder mal typisch für unsere Laura, nicht wahr? Versucht immer, die Harte zu spielen. Jedenfalls, sie hat aufgelegt, ohne mir ihre Adresse zu geben. Sie war sehr zerstreut. Ich war mal bei ihr, kann mich aber nicht erinnern, wo das war. Sie wissen selbst, wie das ist.«
Maisie ist in den Wechseljahren. Sie weiß, wie das ist. »Laura hat Sie angerufen? Sie scheint wirklich dringend jemanden zum Reden zu brauchen.«
»Oh ja. Ich habe zurückgerufen, aber sie geht nicht ran. Ich soll in einer halben Stunde bei ihr sein. Könnten Sie mir die Adresse geben?«
»Das ist nicht erlaubt, Brigid, das wissen Sie doch.«
»Ach, kommen Sie, Maisie, ganz unter uns alten Mädchen. Wie gefährlich kann ich für Coleman schon sein?«
Ich hörte Maisie auf ihrer Tastatur tippen. Eine Sekunde später nannte sie mir eine Adresse auf der Elm Street im historischen Viertel von San Hughes, in der Nähe der Uni. Es war erschreckend einfach gewesen.
»Sagen Sie ihr alles Liebe von mir, ja?«
»Mach ich, Maisie. Sie sind ein Schatz.«
Ich klappte mein Handy zu, warf die sauberen Sachen aus dem Müllsack auf das zweite Bett und ließ die blutigen Klamotten im Sack. Ich hatte zu meinem Bedauern bereits viel zu viel Zeit verloren, sie zu entsorgen. Diesen Fehler würde ich nicht noch einmal begehen, und wenn ich dafür einen riesigen Umweg machen musste. Ich würde nicht das Risiko eingehen, die Sachen einfach in den Müll zu werfen.
Ich nahm den Müllsack, schlang mir die Handtasche über die Schultern und ging nach draußen auf den Parkplatz. Ich blickte zu der Stelle, wo ich meinen Wagen geparkt hatte, und konnte ihn nirgends entdecken. Panik überfiel mich. Ein gestohlener Wagen war das Letzte, was ich jetzt brauchte.
Dann fiel mir ein, dass er vor Emery’s Cantina stand, weil ich am Abend zuvor zu betrunken gewesen war, um noch zu fahren. Ich warf mir den Sack über die Schulter und trottete die anderthalb Kilometer zur Bar zu Fuß. Ich fühlte mich wie eine Obdachlose. Es war heiß wie die Hölle, doch der Fußmarsch trug wenigstens dazu bei, den Restalkohol aus meinem Kreislauf zu vertreiben.
Ich fand meinen Wagen wohlbehalten an der gleichen Stelle auf dem kleinen Parkplatz der Bar, wo ich ihn am Abend zuvor abgestellt hatte. Ich wäre zu gerne diskret verschwunden, doch in diesem Moment bog Emery in einem beigefarbenen Hyundai in den Parkplatz ein. Cheri saß auf dem Beifahrersitz und hatte mich ebenfalls entdeckt. Ich wand mich innerlich, doch sie winkten mir mit professioneller Beiläufigkeit zu – kein Zeichen von Besorgnis.
Ich fuhr auf der Campbell nach Norden bis zu einem Abschnitt, wo eine gestrichelte grüne Linie auf der Landkarte anzeigt, dass die Strecke landschaftlich besonders schön ist. Normalerweise genoss ich es, ein klein wenig schneller als erlaubt um die Kurven zu fahren und zu spüren, wie die Reifen auf dem Asphalt klebten, doch diesmal bemerkte ich es kaum. Ich bog nach links auf die Ina und ein kurzes Stück weiter nach rechts auf den Oracle ein.
Vor dem idyllischen Hintergrund des Push Ridge, eines Gipfels in den Catalina Mountains, liegt die Niederlassung der Einlagerungsfirma U-Store-It. In einer der Lagerhallen steht mein persönlicher Container, so groß wie eine halbe Garage, in dem ich meine private Waffensammlung untergebracht habe.
Ich rückte ein paar Kisten mit alten
Weitere Kostenlose Bücher