Der stille Schrei der Toten
ich sonst noch glaube, Bobby Ray, oder wie auch immer Sie heißen? Sie vergreifen sich an Frauen und Kindern, weil Sie ein feiger Schlappschwanz sind. Ich wette, sobald Sie es mit einem richtigen Mann zu tun bekommen, ziehen Sie sofort den Schwanz ein und rennen, was das Zeug hält. Ich wette, Ihnen fehlt sogar der Mumm, es mit mir aufzunehmen. Nun kommen Sie schon, ich brenne darauf, Ihnen die Fresse zu polieren.«
Seine kleinen fiesen Augen weiteten sich vor Schock; dann begannen sie zu strahlen, als hielte er nun eine Gratiseinladung dazu in der Hand, mich in einen blutigen Klumpen Matsch zu verwandeln. Er senkte den Kopf wie ein wilder Stier und setzte zu einer Attacke an, aber er war nicht gerade Mike Tyson, sodass ich schnell zur Seite ausweichen konnte, ihn mit dem Arm am Nacken zu fassen bekam und seinen Kopf mit voller Wucht gegen die bereits erwähnte Lebenseiche prallen ließ. Er sank zu Boden und schaute benommen und verwirrt zu mir auf. In einem Cartoon würde man jetzt die Sternchen um seinen Kopf wirbeln sehen. Ricky rannte auf seine Mutter zu, und sie nahm ihn in die Arme.
Allmählich schien es Billy Ray zu dämmern, dass sich da so eine komische Tante doch tatsächlich gewehrt und seinen Schädel gegen einen Baumstamm gerammt hatte. Die Vorstellung gefiel ihm offenbar gar nicht, denn, Freude über Freude, er rappelte sich hoch und kam wieder auf mich zugeschossen. Ich vollzog eine Linksdrehung und knallte ihm in bester Kickboxmanier den rechten Fuß gegen die Brust. Er taumelte, dieses Mal mit dem Rücken, an denselben Baumstamm, ging ächzend und stöhnend in die Knie und brach dann auf allen vieren zusammen. Bitte, bitte, komm noch mal, dachte ich, was nicht sehr nett war. Normalerweise neige ich nicht zur Gewalt, aber dieser Kerl hatte sich seine gerechte Strafe verdient.
»Na sieh mal einer an, Bobby Ray! So stark sind Sie also gar nicht. Manche Frauen mögen es nicht, wenn man ihnen dumm kommt, und viele reagieren sogar ausgesprochen sauer darauf. So eine bin ich. Wissen Sie, es ist nicht sehr angenehm, verprügelt zu werden, oder? Warum besorgen Sie nicht mal zur Abwechslung eine Rute für mich, und dann sehen wir ja, was ich damit mache.«
Bobby Ray sah zu seiner Frau und zu seinem Sohn, um darauf allen Mut zusammenzunehmen und mich noch einmal anzugreifen. Da er ohnehin betrunken und aufgrund der nagelneuen Platzwunde an seinem Kopf leicht benommen war, hatte ich ein leichtes Spiel, ihm die Fingerknöchel in die Augen zu stoßen und ihm dann mit aller Gewalt einen Magenschwinger zu versetzen. Als er nach vorne taumelte, stieß ich ihn zu guter Letzt noch gegen die Kante des Picknicktischs. Er ging zu Boden, setzte sich sodann auf, hielt sich aber nicht lange, denn Shelley schnappte sich eine volle Bierflasche vom Tisch und zerschmetterte sie auf seinem Kopf. Dieses Mal rollte er auf den Rücken und blieb reglos liegen. Ricky nahm die Rute und schlug sie ihm ein paar Mal auf die Brust. Dann brach er in Tränen aus und rannte zurück zu seiner Mutter.
Ich sagte zu Shelley: »Dieser Mann ist nicht gut für sie. Eines Tages bringt er Sie noch um.«
»Danke, Ma’am«, flüsterte sie, als ob ihre auf dem Boden liegende bessere Hälfte sie hören und sich später rächen könnte. Trotzdem wirkte sie bei aller Angst doch sichtlich befriedigt darüber, endlich zurückschlagen zu können. »Ich hatte fest vor, ihn zu verlassen. Hab’s auch schon mehrmals versucht, aber er findet uns immer wieder und schlägt mich halbtot. Es wird stets schlimmer mit ihm, und jetzt vergreift er sich auch an Ricky. Sie haben es ja gesehen.«
»Ja, das ist leider üblich. Es gibt eine landesweit gültige Hotlinenummer für Opfer häuslicher Gewalt. Haben Sie da schon mal angerufen?«
»Wir haben kein Telefon, und allein darf ich nicht aus dem Haus, nicht einmal zu meiner Mutter. Mom hat so die Schnauze voll von ihm. Ich geh nicht wieder zurück zu ihm.«
Ich schaute den Hang hinauf und sah Black aus der Bootsverleihbude kommen. Als er erkannte, dass ich neben einem blutüberströmten, bewusstlos am Boden liegenden Mann stand, fing er an zu laufen. »Verstehen Sie, Sie brauchen dringend Hilfe. Es gibt Frauenhäuser. Da sind Sie sicher.«
In dem Moment traf Black bei uns ein, und ich sah sofort, dass er eine Schrotflinte in der Hand hielt. Er sah zu Bobby Ray hinunter, dann wandte er sich mir zu und sagte: »Man kann Sie nicht eine Minute alleine lassen, nicht wahr?«
»Schauen Sie sich mal ihr Gesicht an. Der
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