Der stille Schrei der Toten
von mir. Sein Enkel und ich haben zusammen famuliert und waren oft zum Fischen hier.«
»Warum spricht er nicht Englisch? Immerhin sind wir noch in den Vereinigten Staaten, richtig?«
Black ignorierte mich und stellte uns auf Englisch vor.
»Aldus, das ist Detective Claire Morgan aus Missouri. Detective, gestatten Sie, Ihnen meinen Freund Aldus Hebert vorzustellen.«
Aldus schrie etwas auf Cajun, packte mich völlig unvermittelt und drückte mir seine feuchten Lippen auf den Mund. Ich war so geschockt, dass ich beinahe die Waffe gezogen hätte.
Stattdessen nahm ich den Überfall klaglos hin und reagierte lediglich mit einem verkniffenen Lächeln, als wir zu dritt zur Veranda hinaufgingen. Aldus führte mich zum Schaukelstuhl und nahm dann neben Black auf einer Bank gegenüber von mir Platz.
»Fragen Sie ihn, ob er weiß, wo sich Marc Savoy aufhält. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit«, sagte ich.
»Haben Sie doch etwas Geduld. Man überfällt Cajuns nicht so einfach mit Fragen. Das gilt bei diesen gastfreundlichen Leuten als unhöflich. Er wird Ihnen jetzt gleich was zu trinken anbieten. Nehmen Sie’s und sagen Sie hübsch danke.«
»Ich hab keinen Durst.«
»Klar haben Sie Durst.«
Ich wandte mich dem alten Mann zu. »Mr Hebert, ich bin im Zuge polizeilicher Ermittlungen hier und würde Ihnen gerne einige Fragen stellen.«
Aldus sah mich an und grinste trotz meines ernsthaften Tons wie ein Idiot. Offenbar war er ziemlich stolz darauf, ein geiler alter Bock zu sein.
Ich sagte: »Wissen Sie, wo wir Marc Savoy finden können?«
Ohne auf meine Frage einzugehen, fragte mich Aldus etwas auf Cajun.
Ich seufzte und sah zu Black. »Nun?«
»Er will wissen, ob Sie heute Abend mit ihm zum Tanzen gehen.«
Ich runzelte die Stirn.
Also sagte Black: »Die Sache ist ernst, Aldus. Wir glauben, Marc Savoy könnte Sylvie Montenegro umgebracht haben. Weißt du, wo er sich aufhält?«
Beim Stichwort Mord schien Aldus aufzuhorchen. »Marc Savoy ist ein seltsamer Vogel«, sagte er auf Englisch; dann kam die Frage, was wir trinken wollten. Black wünschte Alkoholfreies, worauf Aldus ins Haus ging und drei Flaschen eisgekühltes Cola brachte. Wir tranken alle.
Aldus wandte sich an Black und sagte: »Er lebt nach wie vor draußen in den Sümpfen, in diesem alten Pfahlhaus von seinem Daddy. Du kennst es. Wir haben dort Station gemacht, wenn du zum Fischen hier warst. Seine Mutter hatte dann einen Eimer gekochter Flusskrebse zum Abendessen parat.«
»Genau, ich erinnere mich an Sie. Sie wohnten ein, zwei Meilen weiter westlich von hier, richtig?«
»Okay, dann machen wir uns doch auf den Weg«, sagte ich ungeduldig.
Es dauerte ungefähr zwanzig Minuten, bis wir die alte, auf Stelzen im Wasser stehende Bretterbude erreichten. Am Steg gleich unterhalb der Eingangsveranda lag ein Aluminiumkanu. Die Behausung lag wirklich, selbst für hiesige Verhältnisse, am Ende der Welt. Auch die drei auf dem Dach sitzenden Bussarde verhießen nichts Gutes. Wir waren noch ein ganzes Stück vom Steg entfernt, als der Wind drehte und uns ein Gestank von Fäulnis und Verwesung entgegenschlug.
»In dem Haus liegt ein Toter«, sagte ich und zog meine Waffe. Mit den Augen durchsuchte ich die umstehenden Zypressen nach Gewehren, die auf uns gerichtet sein könnten.
Es herrschte absolute Stille, bis auf den leise flappenden Flügelschlag, als die Bussarde träge vom Dach abhoben. Es war höllisch unheimlich, aber ich kannte diesen Geruch nur allzu gut. So roch nur der Tod.
»Warten Sie, und lassen Sie mich zuerst reingehen«, bot Black mir an, aber ich hörte nicht darauf, sondern sprang sofort aus dem Boot, kaum dass es gegen den wackeligen Landesteg prallte. Ich ging vorsichtig die Stufen hinauf und stellte mich an einer Seite der Tür mit dem Rücken gegen die Wand.
»Aufmachen, Polizei«, rief ich.
»Länger als ein paar Minuten hält es da drin doch keiner aus«, sagte Black, der mit der Schrotflinte im Anschlag direkt hinter mir stand.
Gut möglich, dass er recht hatte, aber sicher war es nicht, und so trat ich die Tür ein und ging voraus. Im Inneren der Hütte, die aus nur einem Raum bestand, war der Gestank überwältigend und ich hielt mir einen Zipfel meines T-Shirts schützend vor die Nase. Black folgte mir unmittelbar.
Die Person, bei der es sich meiner Meinung nach um Marc Savoy handeln musste, saß auf einem Polstersessel in der Ecke. Zwischen seinen Knien stand ein Jagdgewehr, und an der Stelle, an der einmal Mund und
Weitere Kostenlose Bücher