Der Stolz der Flotte
hundert Mann oder noch mehr brauchen, und eine beträchtliche Eingreifreserve für den Fall, daß der Feind einen Ausfall machte und angriff. Eine »Lange Neun« wog über hundert Tonnen; und man würde mehr als eine brauchen.
Aber das war immer noch besser, als das Geschwader bei der sinnlosen Prozession über die Bucht in Stücke hauen zu lassen.
Er drehte sich um und fuhr zusammen, denn Tothill hatte ihn angerufen. »Was ist? Haben alle bestätigt?«
»Das meine ich nicht, Sir.« Der Midshipman deutete über die Steuerbordnetze. »Die
Coquett
e
verläßt ihre Station und setzt mehr Segel, Sir.«
Bolitho hob das Teleskop und sah, daß dunkle Knäuel zur Rah der
Coquett
e
aufstiegen und sich zu bunten Tupfen entfalteten.
»Signal von
Coquette
,
Sir«, rief Tothill. ›»Unbekanntes Segel mit Kurs Nordwest‹.«
Bolitho setzte sein Glas ab und sah Broughton an. »Soll ich die
C
o
quett
e
die Verfolgung aufnehmen lassen, Sir?«
Tothills Stimme schnitt die Antwort Broughtons ab. »
Coquett
e
setzt weiteres Signal.« Eine Pause – wieder sah Bolitho den Muskel an Broughtons Wange scharf und regelmäßig zucken. Dann meldete Tothill wieder: »›Fremdes Schiff geht über Stag‹, Sir.«
Ratlos hob Broughton die Arme. »Mindestens eine Fregatte. Da müßte die
Coquett
e
mit ihr fertig werden können.« Er blickte Bolitho unsicher an. »Die wird jetzt überall ausposaunen, daß wir hier sind!«
»Ich schlage vor, wir rufen die Marine-Infanterie zurück, Sir.« Bolitho hatte den Gedanken an das Landen von Geschützen, an das nötige Geschirr und die erforderlichen Boote fallengelassen. Dazu war jetzt keine Zeit mehr, sie konnten von Glück sagen, wenn sie alle ihre Marine-Infanteristen heil zurückbekamen; es konnte ja ein feindliches Geschwader in der Nähe sein.
»Nein.« Broughtons Augen waren steinern.
»Ic
h
zieh
e
mic
h
nicht
zurück
.
Ich habe meine Befehle. Und Sie auch!« Er deutete auf die kahlen Hügel. »Djafou muß genommen werden, ehe feindliche Schiffe hier sind!
Muß
,
verstehen Sie?« Er schrie beinahe; ein paar Matrosen an den Geschützen starrten herauf.
Messerscharf schnitt Draffens Stimme durch die kurze Stille. Wo er während der ganzen Aktion gesteckt hatte, wußte Bolitho nicht; aber jetzt wirkte er sehr ruhig. Seine Augen waren kalt und gelassen wie die eines Jägers kurz vor dem Fangschuß. »Ich mache einen Vo rschlag, Sir Lucius.«
Broughton wandte sich zu ihm um, und Draffen fuhr fort: »Denn ich denke, wir haben jetzt mit
konventionelle
n
Methoden genügend Zeit verschwendet.«
Einen Moment dachte Bolitho, der Admiral würde wieder aggressiv werden. Doch er sagte nur: »Bitte sprechen Sie, Sir Hugo, ich höre.« Er blickte sich um, als suche er die Kampanjeleiter. »In meiner Kajüte am besten.«
Bolitho sagte: »Ich werde dem Geschwader ›Kurs West‹ signalisieren, Sir. Die
Restles
s
und die
Coquett
e
können vorläufig auf ihren Stationen bleiben.«
Er wartete, denn er sah, daß Broughton nach Worten suchte. »Ja«, brachte er schließlich heraus und wiederholte mit etwas festerer Stimme: »Ja, machen Sie das.« Als sie das Achterdeck verließen, sagte Keverne leise: »Wir sind immer noch besser weggekommen als die
Tanais
,
Sir. Die hat zwanzig Mann verloren. Wir haben sieben Tote und fünf durch Splitter Verwundete.«
Bolitho blickte noch immer zur Kampanje und fragte sich, was Draffen wohl jetzt noch vorschlagen konnte.
»Schäden?«
»Hörte sich schlimmer an, als es ist, Sir. Die Zimmerleute sind schon unten.«
»Gut. Sagen Sie Mr. Grubb, er soll seine Männer so bald wie möglich anfangen lassen.«
Der erste Tote wurde durch das Hauptluk heraufgebracht und zur Bestattung an Deck gelegt. In diesen wenigen Minuten hatten sie sieben Tote gehabt. Ungefähr einen pro Minute. Bolitho preßte die Hände auf dem Rücken zusammen und schritt langsam zur Luvseite. Plötzlich überkam ihn Wut. Die
Euryalu
s
war sozusagen der stärkste Trumpf der Seekriegsführung. Und doch war sie gegen ein uraltes Kastell mit ein paar Kanonieren so ohnmächtig wie eine königliche Prunkbark.
»Ich gehe zum Admiral, Mr. Keverne.«
»Sir?«
»Auch ich habe ein paar Ideen, und die will ich ihm sofort vortragen.«
Allday sah ihn vorbeigehen und lächelte bedächtig; Bolitho war also stinkwütend. Höchste Zeit, dachte er, daß der Captain den Oberbefehl übernimmt, sonst geht es uns allen dreckig.
Die zweite Chance
Vizeadmiral Broughton sah vom Schreibtisch auf und blickte
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