Der Stolz der Flotte
lächelte wie über etwas lange Vergangenes. »Ich habe in London gelebt. Kennen Sie London gut?«
Er schüttelte leicht den Kopf. »Ich war manchmal dienstlich dort.« Überraschenderweise hob sie das Kinn und lachte. Es war ein kehliger, ungehemmter Laut, als hätte er etwas höchst Erheiterndes gesagt.
»Ich kann an Ihrem Gesicht sehen, daß London nichts für Sie ist, mein lieber Captain. Aber ich denke doch, daß Ihr London von meinem sehr verschieden ist – dem London, wo Ladies Quadrille tanzen und sich ein Bukett vors Gesicht halten, damit man denken soll, sie erröten; wo die jungen Stutzer zierlich um sie herumschwänzeln und ihnen den Hof machen.« Sie hob den Kopf hoch, und das üppige Haar fiel ihr locker um den Hals. »Es ist eine Art zu leben, die ich zu erlernen versucht habe. Aber nun scheint es, daß meine Mühe umsonst war.« Eine Sekunde stieg etwas wie Sehnsucht in ihren Augen auf, aber dann schloß sie kurz: »Das Leben ist eben grausam.«
Sie stand auf und setzte die Schale auf den Tisch, und Bolitho sah, daß sie ein anderes Kleid trug – gelbe Seide, tief ausgeschnitten und mit zierlicher Stickerei um die Taille. Sie bemerkte seinen Blick und sagte: »Eine der spanischen Damen hat es mir gegeben.«
»Haben Sie Ihren Gatten in London kennengelernt?« Er wollte keine traurigen Erinnerungen in ihr wachrufen, aber irgendwie interessierte ihn das.
»Meinen ersten.« Sie sah sein verwirrtes Gesicht und lachte wieder ihr perlendes Lachen. »O ja, ich habe schon zwei Männer begraben, sozusagen.« Sie kam rasch wieder ans Bett und legte ihm die Hand auf die gesunde Schulter. »Machen Sie nicht so ein bekümmertes Gesicht. Das sind alte Geschichten. Der erste war ein wirklich brillanter Mann. Wir wollten zusammen die Welt erobern. Er war ein Glücksritter, ein Söldner, wenn Sie wollen. Er nahm mich mit nach Spanien, wo er gegen die
Frog
s
kämpfen wollte. Aber alle Schlachten, die er schlug, schlug er in Tavernen um Weiber. Eines Tages muß er dabei an einen ebenbürtigen Gegner geraten sein, denn er wurde tot in einem Straßengraben vor Sevilla aufgefunden. In Sevilla habe ich dann Luis kennengelernt. Er war doppelt so alt wie ich, aber er brauchte mich.« Sie seufzte. »Er war Witwer, und nur seine Arbeit hielt ihn aufrecht. Ich glaube, er war glücklich mit mir«, schloß sie etwas leiser.
»Davon bin ich überzeugt.«
»Danke, Captain.« Sie wandte das Gesicht ab.
Wieder ging die Tür knarrend auf, aber diesmal war es Gillmor. Er grüßte durch ein höfliches Kopfneigen und trat dann zum Bett.
»Ich bin aufrichtig froh, daß Sie sich erholen, Sir.«
Bolitho fiel auf, wie überanstrengt der Kommandant der
Coquette
aussah; vermutlich hatte er durch den Ausfall Bolithos doppelte So rgen.
Eilig sprach Gillmor weiter. »Die Ausgucks haben soeben gemeldet, daß unser Geschwader in Sicht ist.« Er atmete langsam aus.
»Endlich.«
»Was verschweigen Sie mir?« fragte Bolitho mit plötzlicher Spannung. »Da ist doch was nicht in Ordnung?«
»Die
Euryalu
s
wird geschleppt. Anscheinend hat sie Bugspriet und vordere Bramstenge verloren. Ich habe Mr. Bickford mit dem Kutter entgegengeschickt.«
»Ich
mu
ß
aufstehen!« Bolitho versuchte, sich aus den Decken zu befreien. »Bringt mich auf mein Schiff, um Gottes willen!«
Gillmor trat beiseite und überließ es Mrs. Pareja, ihn auf sein Lager zurückzudrücken. »Tut mir leid, Sir, aber wir haben beschlossen, daß Sie hierbleiben.«
Bolitho biß vor Schmerzen die Zähne zusammen. »
Wir
! Wer ist
wir
?«
Gillmor schluckte heftig, blieb aber fest. »Commander Inch und ich, Sir. Es hat keinen Sinn, daß Sie jetzt sterben, da Sie das Schlimmste überstanden haben.«
»Seit wann erteilen Sie mir Befehle, Captain Gillmor?«
Diese Demütigung, die Hilflosigkeit, das Gefühl, mehr an sich selbst als an das Wohl des Geschwaders gedacht zu haben, erfüllte ihn mit sinnlosem Zorn.
Bevor Gillmor antworten konnte, mischte Mrs. Pareja sich ein: »Also, das ist kindisch! Regen Sie sich nicht so auf, sonst rufe ich Mr. Angus!«
Gillmor fing wieder an. »Entschuldigen Sie bitte, Sir. Aber ich glaube, wir brauchen Sie bald, und zwar gesund.«
Bolitho schloß die Augen. »Nicht doch –
ic
h
muß mich entschuldigen. Bei Ihnen beiden. Ist die
Restless
beim Geschwader?«
Gillmor zögerte. »Nein, Sir. Aber vielleicht segelt sie so weit draußen, daß Giffards Leute sie nicht gesichtet haben.«
»Vielleicht.«
Er wurde wieder müde; der pulsierende
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