Der Stolz der Flotte
Und wenn sie jetzt getrennt wurden, konnte es sein, daß er Allday nie wiedersah.
Ruhig erwiderte er: »Er ist ein Freund,
m’sieur.«
Witrand seufzte melancholisch. »Und das ist etwas Rares. Er mag bei Ihnen bleiben. Aber irgendein Trick – und Sie sterben!« Er warf Pareja einen schneidenden Blick zu. »Da gibt es, wie bei Verrätern, nur
ein
e
Lösung!«
Bolitho wandte sich zur Kampanjeleiter. Dabei schweifte sein Blick über die in der Nähe stehenden Passagiere. An der Kampanje stand Parejas Frau. Unbeweglich stand sie da, nur ihre heftig atmende Brust verriet Erregung. Er hörte ein knarrendes Geräusch, und als er den Kopf wandte, sah er die britische Flagge bereits am Großmast hinuntergleiten.
Das war, wie der Verlust seines Degens, ein Symbol für die Vollständigkeit seiner Niederlage.
Bolitho lehnte sich gegen ein mächtiges Faß Salzfleisch und horchte, während sich seine Gefährten ganz still verhielten, auf die gedämpften Geräusche jenseits der Tür. Der Raum, in dem sie gefangengehalten wurden, war völlig dunkel; nur in der Tür befand sich ein kleines kreisrundes Guckloch, das vom schwachen Schein einer Laterne erhellt war. Gott sei Dank – so konnten sie wenigstens sein verzweifeltes Gesicht nicht sehen. Er hörte die Kette klirren und spürte einen leisen Ruck an der Fußfessel. Meheux oder einer der anderen hatte sich bewegt. Neben ihm, ebenfalls mit dem Rücken an das Faß gelehnt, saß Allday; an der entgegengesetzten Wand des kleinen Stauraums waren Grindle und Ashton aneinandergekettet und jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.
Unmöglich zu sagen, was an Bord vor sich ging. Die Pumpen arbeiteten noch, aber gelegentlich hatte er auch andere Geräusche gehört: Rufe, Flüche, das Schluchzen und Schreien einer Frau. Einmal einen Pistolenschuß – vermutlich hatte Witrand Schwierigkeiten mit der spanischen Mannschaft. Nach der todbringenden Kanonade der
E
u
r
y
a
lus,
dem Sturm, der demütigenden Wegnahme des Schiffes konnte sich Bolitho leicht vorstellen, was sich unter Deck für Szenen abspielten. Ohne die Offiziere, an die sie gewohnt waren, ohne erkennbares Ziel mochte die Disziplin bald zum Teufel gegangen sein und trunkenes Chaos herrschen.
Der Wind hatte nicht wieder aufgefrischt. Das merkte er an den trägen Bewegungen des Schiffes, an dem nutzlosen Klappern des losen Geschirrs.
Wütend sagte Meheux: »Wenn ich diese Saufbolde jemals in die Finger bekomme, dann lasse ich sie in Fetzen peitschen, die unnützen Lausekerle!«
»Das mit dem Brandy«, erwiderte Bolitho, »war eine sehr schlaue List Witrands. Ich hätte eine gründlichere Durchsuchung veranstalten müssen«, schloß er bitter.
Bekümmert sagte Grindle: »Sie hatten zu viel zu tun, um denen das Leben zu retten, Sir. Hat keinen Sinn, daß Sie sich Vorwürfe machen.«
»Ganz meine Meinung«, warf Allday böse ein. »Man hätte sie alle verrecken lassen sollen.«
»Fühlen Sie sich besser, Mr. Ashton?« rief Bolitho hinüber. Er machte sich Sorgen um den Midshipman. Als man sie in den Stauraum zerrte, hatte er den blutigen Verband um seinen Kopf gesehen und sein totenbleiches Gesicht. Anscheinend hatte Ashton auf eigene Hand versucht, die Angreifer aufzuhalten, da seine Männer, was er aber nicht wußte, zu betrunken waren, um ihm auf sein Rufen zu Hilfe zu kommen. Jemand hatte ihm eine Muskete über den Schädel gehauen, und er hatte seither kaum gesprochen.
Aber jetzt antwortete er sofort: »Ich bin wieder in Ordnung, Sir. Es wird bald vorbeigehen.«
»Sie haben sich gut gehalten.«
Wahrscheinlich dachte Ashton ebenfalls über seine Zukunft nach. Er war erst siebzehn, hatte sich aber als vielversprechend und recht fähig erwiesen. Doch jetzt waren seine Aussichten trübe: Gefängnis oder sogar Tod durch Fieber in irgendeiner gottvergessenen feindlichen Garnison. Er war von zu niederem Rang, zu unwichtig, um für einen Austausch in Frage zu kommen, selbst wenn man höherenorts an dergleichen dachte.
Bolitho versuchte, sich sein Schiff vorzustellen – wo es jetzt wohl war und was Broughton tun mochte? Der Admiral hatte sie wahrscheinlich allesamt abgeschrieben. Nach diesem Sturm mußte er annehmen, daß die schwer havarierte
Navarr
a
gesunken sei; Bolitho und seine Männer würden binnen kurzem nur noch Erinnerung für ihn sein – weiter nichts.
Er versuchte, sich etwas anders hinzusetzen, und ärgerte sich dabei über seine Fußfessel. Er war schon früher in Gefangenschaft gewesen, aber der
Weitere Kostenlose Bücher