Der Stolz der Flotte
waren, die Kampanje halten konnte, waren sie doch nicht imstande, das Schiff zu führen. Witrands Drehbasse machte ihn zum Herrn des Oberdecks, auch des Proviants und Trinkwassers. Es mochten keine spanischen Offiziere mehr am Leben sein, aber Witrand hatte recht: die Mannschaft konnte allein die Segel bedienen, und früher oder später würde ein feindliches Schiff auftauchen und wissen wollen, was mit der
Navarr
a
los war.
Allday flüsterte: »Wenn wir wieder in die Kajüte kommen, können wir sie uns mit Musketen vom Leibe halten, Captain.«
»Ich warte,
capitain
e
«, erscholl die Stimme wieder. »Werfen Sie die Waffen weg – sofort!«
»Ob er wirklich feuert?« fragte Meheux. »Er könnte die Hälfte der Frauen und Kinder damit umbringen.«
Langsam schnallte Bolitho den Degen ab. »Wir nutzen niemandem, wenn wir tot sind. Tut, was er sagt!«
Wie ein tiefer Seufzer kam es von den reglosen Passagieren, als Bolitho und seine Gefährten ihre Waffen an Deck niederlegten. Zwei Spanier kamen mit gezogenen Pistolen über den Decksgang herbeigerannt, stiegen die Kampanjeleiter herauf und postierten sich so dicht hinter Bolitho, daß sie unmöglich fehlschießen konnten. Witrand übergab die Reißleine seinem zweiten Mann und schritt langsam den Decksgang entlang. Auf dem Achterdeck angekommen, machte er eine kurze Verbeugung.
»Paul Witrand, zu Ihren Diensten,
capitaine
.«
Er war mittelgroß, hatte eckige Kinnbacken und wirkte soldatisch. Etwas Tollkühnes ging von ihm aus, und er wäre Bolitho bestimmt aufgefallen, wenn ihn Parejas Frau nicht so lange aufgehalten hätte. Vielleicht war sie sogar bloß deswegen gekommen.
Kalt erwiderte er: »Ich habe mich ergeben, um Menschenleben zu retten. Aber früher oder später werden wir wieder mit meinem Schiff zusammentreffen. Und dann wird es Ihnen nichts helfen, wenn Sie uns als Geisel benutzen.«
»Nur ein einzelnes Schiff,
capitain
e
! Interessant. Was mag es wohl in Gewässern, die Frankreich beherrscht, für eine Mission haben?« Er schüttelte den Kopf. » Sie sind ein tapferer Offizier – meine Hochachtung! Aber Sie müssen diese Wendung der Dinge akzeptieren, so wie ich akzeptieren mußte, daß Sie so unvermutet an Bord kamen. Es wäre besser für uns beide gewesen, wenn wir uns nie getroffen hätten. Aber Krieg ist Krieg«, schloß er mit sehr ausdrucksvollem Achselzucken. Ein paar Sekunden lang musterte er Bolitho; in dem grellen Sonnenlicht waren seine Augen beinahe gelb. »Zweifellos werden Sie sich weigern, dieses Schiff für mich zu segeln. Aber«, fuhr er lächelnd fort, »Sie werden mir Ihr Wort als Offizier geben, daß Sie nicht versuchen, es zurückzuerobern.« Er nahm Bolithos Degen auf. »Dann können Sie den hier behalten – als Zeichen meines Vertrauens, eh?«
Bolitho schüttelte den Kopf. »So etwas kann ich nicht versprechen.«
»Ich auch nicht«, sagte Meheux mit dumpfer Stimme.
»Loyalität?« Er schien durchaus darauf gefaßt zu sein. »Dann we rden Sie unter Deck geschafft und in Eisen gelegt. Das tut mir natürlich leid, aber ich habe viel zu tun. Außer mir sind noch drei Franzosen an Bord. Die anderen –«, er zuckte verächtlich die Schultern, »– spanisches Gesindel. Ich werde alle Mühe haben, sie von den Frauen fernzuhalten, glaube ich.« Er winkte den bewaffneten Matrosen. »Ihr Schiff ist in Frankreich gebaut, ja?«
»Die ehemalige
Tornade
.« Bolitho gab sich Mühe, möglichst gleichmütig zu sprechen, und doch barst ihm fast das Hirn bei dem Versuch, einen Plan auszudenken – mochte er auch noch so schwach sein –, mit dem er das Schiff wieder in seine Gewalt bekommen konnte. Witrand riß seine gelben Augen weit auf. »Die
Tornad
e
? Admiral Lequillers Flaggschiff?« Er schlug sich mit der offenen Hand vor die Stirn. »Wie dumm von mir, daß ich nicht gleich darauf gekommen bin! Sie mit Ihrem unaussprechlichen Namen! Der Mann, der nur mit einem Vierundsiebziger die
To
r
nad
e
genommen hat!« Mit plötzlichem Ernst nickte er. »Sie werden selbst eine feine Prise abgeben, wenn oder falls wir Frankreich jemals wiedersehen.«
Die Matrosen stießen ihnen die Pistolenläufe in den Rücken, und Witrand sagte scharf: »Gehen Sie mit!« Er sah Allday an, dessen Fäuste sich in ohnmächtiger Wut schlossen und öffneten, und in dessen Gesicht immer noch der Schrecken über diese Wendung geschrieben stand. »Ist das einer von Ihren Offizieren?«
Bolitho sah Allday an. Das war ein Moment, in dem das Leben zu Ende gehen konnte.
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