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Der stolze Orinoco

Der stolze Orinoco

Titel: Der stolze Orinoco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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sich sagen mußte, daß alle seine sein ausgesonnenen Vorsichtsmaßregeln durch jenen verwünschten Chubasco zerstört worden waren und daß seine Stellung als Onkel Jean von Kermor’s unwiderruflich erschüttert war, da man diesen Neffen als eine Nichte erkannt hatte, zu der er nicht einmal in dem Verhältnisse eines Onkels stand!
    Natürlich war er wüthend – wüthend gegen sich selbst und gegen alle Andern. Jean hätte bei dem plötzlichen Sturme nicht in den Strom fallen dürfen und er hätte sich ihm nachstürzen sollen, statt seine Rettung einem Dritten zu überlassen! Jacques Helloch’s Sache war es ja gar nicht gewesen, ihm Hilfe zu bringen! Was ging ihn denn die Sache an? Und doch hatte er recht daran gethan, denn ohne ihn wäre er… nein, sie… jedenfalls ums Leben gekommen. Freilich durfte man hoffen, daß das keine weiteren Folgen haben werde. Das Geheimniß war sorgsam gehütet worden. Wenn er sich das zurückhaltende Benehmen des Retters Jeanne’s vergegenwärtigte, glaubte der Sergeant Martial sich beruhigen zu dürfen, und sein Oberst würde ihm, wenn sie sich Auge in Auge gegenüberstanden, keinerlei Vorwürfe zu machen haben.
    Armer Sergeant Martial!
    Sehr frühzeitig wurde er von Jean geweckt, den Herr Manuel und seine Söhne schon vor dem Hause erwarteten.
    Fast gleichzeitig trafen die beiden Franzosen ein, die ihre Pirogue eine Viertelstunde vorher verlassen hatten.
    Man sagte einander Guten Tag. Jacques Helloch meldete, daß die Ausbesserung der »Gallineta« gut vorwärts schreite und die Falca am folgenden Morgen wieder weiterfahren könne. Nun ging es sofort nach den Feldern hinaus, wo die Gomeros schon versammelt waren.
    Diese »Felder« sind eigentlich Wälder, worin bestimmte Bäume, ganz wie beim Baumfällen, vorher bezeichnet sind. Hier handelte es sich freilich nicht darum, sie umzulegen, sondern nur darum, ihre Rinde zu ritzen, sie, wie man in Australien von den Milchbäumen sagt, zu »melken«.
    In Begleitung seiner Gäste betrat Herr Manuel die seltsamen Gruppen von Kautschukbäumen grade zur Zeit, als die Gomeros ihre Arbeit begannen.
    Der wißbegierigste unter den Besuchern, der, der sich in seiner Eigenschaft als Botaniker vorzüglich für das hier geübte Verfahren interessierte, war – wen könnte das überraschen? – natürlich Germain Paterne. Er beobachtete die Arbeit mit größter Aufmerksamkeit, und der Commissar ließ es sich angelegen sein, alle seine Fragen zu beantworten.
    Die Operation selbst war höchst einfach.
    Zuerst schnitt jeder Gomero, dem je etwa hundert Bäume einer sogenannten »Estrade« zugetheilt waren, deren Rinde mit einer sehr scharfen, kleinen Axt an.
    »Ist die Zahl dieser Einschnitte eine bestimmte? fragte Germain Paterne.
    – Sie wechselt je nach der Dicke der Bäume zwischen vier und zwölf, und die Beilhiebe müssen dabei mit größter Genauigkeit geführt werden, um die Rinde nicht tiefer als nöthig zu spalten.
    – Dann handelt es sich also, meinte Germain Paterne, nicht um eine Amputation, sondern nur um einen Aderlaß.«
    Gleich nachdem der Einschnitt erfolgt war, begann der Saft des Baumes an diesem herunter und in ein kleines Gefäß zu laufen, das so angebracht war, daß kein Tropfen verloren ging.
    »Und wie lange dauert das Auslaufen? fragte Germain Paterne.
    – Gegen sechs bis sieben Stunden,« belehrte ihn Herr Manuel.
    Einen Theil des Vormittags durchwanderten Jacques Helloch und seine Gefährten diese Anpflanzung, während die Gomeros die Bäume »ansteckten«, ein ganz treffender Ausdruck, dessen sich der Sergeant Martial bediente. Siebenhundert Bäume wurden in dieser Weise einem Aderlaß unterzogen, der eine reiche Ernte an Kantschuk versprach.
    Nach der Wohnung kam die Gesellschaft erst zur Zeit des Frühstücks zurück, dem Alle mit gutem Appetit große Ehre anthaten. Die beiden Söhne Manuels hatten am Morgen in dem benachbarten Walde mit Erfolg gejagt, und das Wildpret, dessen Zubereitung ihre Mutter überwacht hatte, war wirklich ausgezeichnet. Ausgezeichnet auch die Fische, die zwei Bauern am nämlichen Morgen im Orinoco gefangen oder mit Pfeilen geschossen hatten; ausgezeichnet endlich die Früchte und die Gemüse des Rancho, darunter die Ananas, die dieses Jahr fast überreichlich gediehen waren.
    Der Anfangsarbeit der Kautschukernte beigewohnt und gesehen zu haben, wie die Einschnitte gemacht wurden, das konnte die Wißbegierde Germain Paterne’s noch nicht befriedigen, und er bat Herrn Manuel, ihn auch über

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