Der stolze Orinoco
Falcas zu verlassen und bis Santa-Juana eine Strecke von etwa fünfzig Kilometern durch die dichten Wälder des rechten Ufers zu Fuß zurückzulegen. Da lag ja das vorläufige Ziel, und diese Aussicht mußte Jedem die Beschwerden eines solchen beschwerlichen Marsches erleichtern. Der 27. October und der folgende Tag konnten zu den schlimmsten Reisetagen seit der Abfahrt von Caïcara gezählt werden. Es bedurfte der größten Hingebung der Mannschaften und aller Geschicklichkeit der Schiffer, um das Raudal der Guaharibos zu überwinden, die Stelle, die 1760 Diaz de la Fuente, der erste Erforscher des Orinoco, erreichte. Das veranlaßte Germain Paterne zu der gerechtfertigten Bemerkung:
»Wenn die Indianer dieses Namens nicht zu fürchten sind, so kann man das jedenfalls nicht von den Stromschnellen sagen, die nach ihnen benannt sind.
– Ja, es wäre ein Wunder, wenn wir ohne Beschädigungen darüber hinwegkämen, antwortete Valdez.
– Da der Himmel schon ein solches gethan hat, indem er die Rettung unsers lieben Jean gelingen ließ, wird er auch noch ein zweites für die Pirogue thun, die ihn trägt. Ein Wunder ist ja leicht gethan, wenn man der allmächtige Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde ist…
– Amen!« murmelte der Sergeant Martial in feierlichstem Ernste.
Und wahrlich, es war wunderbar, hier nur mit einigen leichten Havarien wegzukommen, mit ein paar Rissen und Schrammen, die gleich unterwegs geheilt werden konnten.
Man stelle sich eine Treppe von hintereinander liegenden Wasserbecken vor, die auf einer Strecke von zwölf Kilometern einander folgen. Diese Anordnung erinnerte lebhaft an die mächtigen Schleusenanlagen des Götacanals in Schweden. Der Canal von Stockholm nach Gothenburg ist jedoch mit Kammern und mit sich öffnenden und schließenden Wasserthoren versehen, die den Schiffsverkehr darauf erleichtern. Hier gab es dagegen weder Kammern noch Schleusenthore, man mußte sich vielmehr über die Treppenabsätze, die kaum einen Zoll Wasser unter den Bodenplanken der Falcas übrig ließen, mühsam emporarbeiten. Alle Ruderer mußten also dabei mithelfen und die Fahrzeuge mit der an Bäumen oder Felsblöcken befestigten Espilla vorwärts schleppen. Wäre die trockne Jahreszeit schon weiter vorgeschritten gewesen, so hätte dieses Raudal die Piroguen gewiß endgiltig aufgehalten.
Das ist so sicher, daß z. B. Chaffanjon an dieser Stelle sein Fahrzeug verlassen und seine Weiterreise, die ihn bis zu den Orinocoquellen führen sollte, in einem Curiare ausführen mußte.
Früh am Morgen brach man wieder auf. Die Breite des Flusses wechselte nur noch zwischen fünfzehn und zwanzig Metern. Die Falcas überschifften auch noch andre Stromschnellen am Fuße der Sierra Guahariba – unter andern das Raudal der Franzosen – und mehr als einmal rissen die kaum noch schwimmenden, sondern mehr mit den Armen fortgeschobenen Fahrzeuge tiefe Furchen in das sandige Flußbett. Am Abend endlich legten Parchal und Valdez die Falcas am Abhange des linken Ufers fest.
Ihnen gegenüber, auf dem andern Ufer, ragte die dunkle Masse eines hohen Pics empor. Das konnte kein andrer als der Pic Maunoir sein – so getauft von dem französischen Reisenden zu Ehren des Generalsecretärs der Geographischen Gesellschaft von Paris.
Vielleicht wurde, in Folge der Uebermüdung, diese Nacht nicht so scharf Wache gehalten.
Nach dem Abendessen hatte wenigstens keiner einen andern Gedanken als den, die Ruhe zu suchen, die jeder so nöthig brauchte. Passagiere und Mannschaften versanken denn auch bald in tiefen Schlummer.
Im Laufe der Nacht erfolgte kein Angriff – kein Ueberfall, weder durch die Bravos-Indianer, noch durch die Alfaniz’schen Quivas.
Beim Erwachen am frühen Morgen stießen die beiden Schiffer einen Schrei des Unmuths aus.
Das Wasser war seit gestern um fünfzig Centimeter gefallen, und die Piroguen saßen fest. Kaum einzelne gelbliche Wasserfäden rannen noch im Bett des Orinoco hin.
Die Schifffahrt war damit also für die ganze Dauer der trocknen Jahreszeit unterbrochen.
Als die Mannschaften dann nach dem Vordertheile der Piroguen zusammengerufen wurden, zeigte es sich, daß einer der Leute beim Appell fehlte.
Jorres war wieder verschwunden, und diesmal sollte er auch nicht zurückkehren.
Siebentes Capitel.
Das Lager beim Pic Maunoir.
Der Pic Maunoir überragt die Savanne um volle fünfzehnhundert Meter. Die Bergkette, die sich an die gewaltige Masse anschließt und deren unerschütterliches
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