Der stolze Orinoco
Bollwerk er zu bilden scheint, verzweigt sich über Sehweite hinaus nach Südosten.
Etwa vierundzwanzig Kilometer davon erhebt sich der Ferdinand von Lesseps-Pic – so hat ihn wenigstens Chaffanjon auf seiner Karte bezeichnet.
Hier beginnt die bergige Gegend, wo das orographische System Venezuelas die größten Erhebungen zeigt. Hier wölben sich breite, gewaltige Rücken und kreuzen sich diese verbindende Kämme in allen Richtungen. Der Anblick, den die Gebirge bieten, wirkt überraschend großartig. Hier steigt die Sierra Parima, die Nährmutter des Orinoco, auf, dort von Wolken umhüllt, der »Rothe Berg«, von dem zahllose, bei den Indianern in besonderem Rufe stehende Bäche herabrieseln – jener Roraima, ein riesiger Meilenstein im Mittelpunkt der Grenzen der drei Staaten.
Wenn es möglich gewesen wäre, wären Jacques Helloch und seine Gefährten auf dem Strom bis zur Sierra Parima, aus der dessen erste Quellen hervorsprudeln, hinausgefahren. Darauf mußten sie jetzt leider verzichten, wenn es auch zur Noth möglich gewesen wäre, die Reise mittelst der Curiares ihrer Piroguen noch fortzusetzen. Diese Boote hätten aber nur ein bis zwei Personen aufnehmen können. Wie wäre es aber möglich gewesen, ohne Mithilfe der Mannschaften weiter zu kommen, und was wäre aus dem gesammten Gepäck dabei geworden? Am Morgen dieses Tages traten Jacques Helloch, Germain Paterne, Jean, dessen Kräfte zusehends zunahmen, und der Sergeant Martial, denen sich die Schiffer Valdez und Parchal angeschlossen hatten, zu einer Berathung – einem von den Indianern Nordamerikas sogenannten Palaver – zusammen.
Ob Palaver oder Berathung – jedenfalls sollten dabei wichtige Beschlüsse gefaßt werden, von denen die Fortsetzung und vielleicht auch der ganze Erfolg der Reise abhingen.
Die genannten sechs Personen hatten am Saume des Waldes an einer Stelle Platz genommen, die den Namen des »Lagers am Pic Maunoir« erhielt, obgleich der Pic auf dem jenseitigen Ufer lag. Darunter dehnte sich das mit Sand und Steinen bedeckte Flußbett aus, in dem die Falcas an der Mündung eines Rio, des Rio Torrida, auf dem Trocknen saßen.
Das Wetter war schön, der Wind frisch und regelmäßig. Zur Linken, auf dem entgegengesetzten Ufer, erglänzte der von den Sonnenstrahlen gebadete Gipfel des Pics und auf seiner bewaldeten östlichen Seite leuchtete eine breite, helle Fläche.
Die Mannschaften waren beschäftigt, auf dem Vordertheil der Pirogue, das von leichtem, nach Süden wegziehendem Rauche halb verhüllt war, die erste Mahlzeit herzurichten.
Uebrigens zeigte sich jetzt kein Indianer, ebenso wenig auf dem Flusse oder an dessen Ufer, noch unter den ersten Bäumen des Waldes. Von bewohnten oder verlassenen Strohhütten war keine Spur zu sehen, obwohl sonst zu dieser Zeit die Ufer hier mehrfach von den Eingebornen aufgesucht wurden. Die in diesen Landestheilen zerstreuten Indianer nehmen aber nirgends feste Wohnsitze ein. Selbstverständlich dringen Händler von San-Fernando niemals soweit den Fluß hinauf, da sie zu leicht von Wassermangel überrascht würden. Mit welchem Flecken, welchem Rancho sollten sie auch hier in Geschäftsverbindung treten? Jenseits von dem jetzt auch verödeten la Esmeralda trifft man Wohnstätten nicht einmal in genügender Anzahl beisammen, um ein Dorf zu bilden, und im Ganzen ist es selten, daß Piroguen über die Mündung des Cassiquiare hinausgehen.
Unter den Versammelten nahm Jacques Helloch sofort das Wort.
»Sie sind noch niemals auf dem obern Orinoco weiter hinauf gekommen, Valdez? fragte er.
– Niemals, antwortete der Schiffer der »Gallinetta«.
– Sie auch nicht, Parchal?
– Auch ich nicht, erklärte der Schiffer der »Moriche«.
– Keiner Ihrer Leute kennt den Flußlauf oberhalb des Pic Maunoir?
– Keiner, versicherten Parchal und Valdez.
– Keiner… außer vielleicht Jorres, ließ sich Germain Paterne vernehmen, doch der hat sich von uns getrennt. Ich habe ihn in Verdacht, daß er nicht zum erstenmale diese Gebiete durchstreift, obgleich er das Gegentheil hartnäckig behauptete.
– Wohin mag er denn gegangen sein? fragte der Sergeant Martial.
– Dahin, wo er ohne Zweifel erwartet worden ist, antwortete Jacques Helloch.
– Erwartet?..
– Jawohl, Sergeant; seit einiger Zeit ist mir das Verhalten des Mannes überhaupt verdächtig vorgekommen.
– Und mir nicht weniger, setzte Valdez hinzu. Als ich ihn nach seiner nächtlichen Abwesenheit am Rio Mavaca fragte, warum er eigentlich
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