Der stolze Orinoco
Begleitung des jungen Mädchens gewährt hätte, mußte er sich doch sagen, daß der Sergeant Martial diesmal im Rechte war. Auf der Fußtour nach Santa-Juana standen der kleinen Gesellschaft noch genug Anstrengungen bevor, daß Jeanne von Kermor sich recht wohl eine vierundzwanzigstündige Ruhe gönnen konnte.
»Mein lieber Jean, sagte er, Ihr Onkel räth Ihnen gut. Der heutige Tag wird Ihnen alle Kräfte wiedergeben… Valdez und ich, wir sind genug…
– Eines Naturforschers benöthigt man nicht? fragte Germain Paterne.
– Man braucht doch keinen Naturforscher, um Eingeborne zu entdecken, erwiderte Jacques Helloch. Bleib nur hier, Germain, und botanisiere nach Herzenslust am Rande des Waldes oder längs des Ufers.
– Ich werde Ihnen dabei helfen, Herr Paterne, erbot sich Jean, und wenn’s hier seltne Pflanzen giebt, werden wir eine gute Ernte einheimsen.«
Vor dem Aufbruch empfahl Jacques Helloch dem Schiffer Parchal dringend, die Reisevorbereitungen möglichst zu beschleunigen. Was Valdez und ihn anging, hofften sie, vor Ablauf von zwei Stunden zurück zu sein, und jedenfalls würden sie ihre Nachsuchung nicht über eine gewisse Entfernung hin ausdehnen.
Damit verließen sie, der eine das Gewehr auf der Schulter, der andre die Axt im Gürtel, ihre Gefährten und verschwanden, eine schräge Richtung einschlagend, hinter den ersten Bäumen.
Es war jetzt neun Uhr morgens. Die Sonne erfüllte den Wald mit feurigen Strahlen. Zum Glück überwölbte üppiges Laubwerk den Erdboden, was die Temperatur etwas erträglicher machte.
Sind im Gebiete des obern Orinoco die Berge nicht bis zum obersten Gipfel mit Bäumen bestanden wie die Cerros am Mittellaufe, so zeigen die Wälder sich dafür reich an üppig gedeihenden Arten, die dem jungfräulichen Boden entsprießen.
Der Wald der Sierra Parima schien ganz verlassen zu sein. Dennoch konnte Valdez an einigen von ihm beobachteten Zeichen, an niedergetretenem Grase, abgebrochenen Zweigen und noch ziemlich frischen Fußstapfen erkennen, daß sich Indianer auf der rechten Uferseite des Flusses befinden müßten.
Die Waldmasse – was wir hervorheben möchten – bestand zum größten Theile aus Baumarten, die selbst für die Eingebornen leicht verwerthbar waren. Da und dort standen Palmen abweichender, wenn nicht für die Augen von Reisenden, die den Strom von Ciudad-Bolivar bis zum Pic Maunoir herausgefahren waren, ganz neuer Art, ferner Bananen, Chapparos, Cobigas, Flaschenkürbisbäume und Marinas, deren Rinde zur Herstellung indianischer Säcke dient.
An einzelnen Stellen bemerkte man auch jene Kuh-oder Milchbäume, die in der Nähe des Ufers nicht so häufig vorkommen, und Gruppen von Morichis oder Lebensbäumen, die im Delta des Orinoco so häufig sind – eine höchst werthvolle Pflanze, deren Fasern zu Fäden und Stricken verarbeitet werden, deren Mark eine stoffreiche Nahrung liefert und deren Saft nach vollendeter Gährung ein sehr heilsames Getränk darstellt.
Je weiter Jacques Helloch hier in den Wald eindrang, desto mehr erwachten in ihm die Begierden des Jägers. Wie leicht hätte er jetzt Wasserschweine, Faulthiere, Bisamschweine, eine Anzahl weißer, Venditas genannter Affen und mehrere Tapire erlegen können, die ihm in bequeme Schußweite kamen. Doch weder er noch Valdez hätte sich mit so viel Wild beladen können, und außerdem erschien es angezeigt, sich hier nicht durch den Knall einer Feuerwaffe zu verrathen. Man wußte ja nicht, von wem er gehört werden könnte und ob nicht gar Quivas hinter dem Dickicht umherschweiften. Jedenfalls wären die Guaharibos, wenn solche entflohen waren, dadurch nicht zum Wiederkommen verlockt worden.
Jacques Helloch und Valdez gingen also schweigsam nebeneinander weiter. Sie folgten dabei einer Art gewundenem, durch niedergetretenes Gras erkennbarem Flußpfade, ohne zu wissen, wohin er führte und ob er vielleicht nach der Sierra zu in einer Lichtung mündete.
Es war aber im Ganzen leicht zu sehen, daß die Wanderung durch den Wald nur langsam und mühevoll vor sich gehen würde und daß man auf Verzögerungen, Anstrengungen und öfteres Rasten rechnen müßte. Wären die Piroguen bis zu den Orinocoquellen hinauf gekommen, so hätte sich ihnen vielleicht im Gebiete der Parima ein weniger schwieriger Weg nach der Mission von Santa-Juana geboten.
Derlei Gedanken beschäftigten Jacques Helloch, während sich sein Begleiter nicht von dem Zwecke des Ausfluges, d. h. der Auffindung eines Sitio oder doch einer von
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