Der stolze Orinoco
höhere Stellen vielleicht mit dem Gebirgszuge der Anden zusammengehangen hatten, ehe einst deren große Bergseen sich durch ein weitverzweigtes Netz von Wasseradern in die Tiefen des Atlantischen Oceans entleerten. Es ist ein vielfach zerrissenes Land, wo sich Bergkämme kreuzen, wo manche Höhen dem Naturgesetz der Schwere zu spotten scheinen – ebenso wie ihre hydrographischen und orographischen Wunderlichkeiten – ein ungeheurer Raum und die unerschöpfliche Nährmutter des Orinoco, den er nach Norden entsendet, und des Rio Blanco, der nach Süden hin strömt, beherrscht von der himmelanstrebenden Bergmasse des Roraima, dessen jungfräulichen Gipfel Im Thurn und Perkin einige Jahre später zuerst erklimmen sollten.
So unausgebeutet, so verlassen war dieser weit entfernte Theil von Venezuela, als es ein Fremder, ein Missionär, unternahm, ihn wenigstens streckenweise umzugestalten.
Die auf diesem Gebiete zerstreut vorkommenden Indianer gehörten der großen Mehrzahl nach zum Stamme der Guaharibos. Gewohnheitsgemäß durchstreiften sie die Ilanos im Innern tiefer Wälder am rechten Ufer des obern Orinoco. Es waren elende Wilde, noch von keinem Hauche der Civilisation berührt. Kaum hatten sie Strohhütten, um Unterkommen zu finden, kaum Lumpen aus Baumrinde, sich zu bedecken. Sie nährten sich von Wurzeln, Palmensprossen, von Ameisen und von Holzläusen (den sogenannten Todtenuhren) und verstanden sich nicht einmal auf die Gewinnung des Maniocmehls, das in Mittelamerika sonst die Hauptnahrung bildet. Sie schienen auf der Stufenleiter der Menschheit die unterste Sprosse einzunehmen, waren klein von Wuchs, schwächlich von Constitution, hager von Gestalt und hatten den aufgetriebenen Leib der Geophagen, und in der That waren sie, vorzüglich im Winter bei mangelnder andrer Nahrung, oft genöthigt, ihren Hunger mit thoniger Erde zu stillen. Die röthlichen langen Haare fallen ihnen auf die Schultern hinab, ihr Gesicht, auf dem ein scharfer Beobachter wohl noch ein Restchen unentwickelter Intelligenz entdecken könnte, und die etwas weniger tiefbraune Färbung ihrer Haut, worin sie sich von den andern Indianern, den Quivas, Piaroas, Barés, Mariquitarern und Banivas unterscheiden – Alles wies darauf hin, sie in die letzte Reihe der an sich niedrigst stehenden Rassen zu stellen.
Und diese Eingebornen galten für so gefährlich, daß selbst ihre nahen Stammverwandten kaum deren Gebiete zu betreten wagten, ja man hielt sie allgemein für so eingefleischte Räuber und Mörder, daß die Händler aus San-Fernando niemals über den Ocamo und höchstens den Mavaca hinausgingen. So hatte sich der üble Ruf gebildet, in dem die Guaharibos noch vor fünf Jahren standen, als Chaffanjon, ohne sich von den Befürchtungen seiner Bootsleute abschrecken zu lassen, seine Fahrt bis zu den Quellen des Stromes fortsetzte. Als er endlich auf der Höhe des Pic Maunoir mit ihnen zusammengetroffen war, erkannte er bald, wie arg die harmlosen Indianer verleumdet worden waren, und bemühte sich, ein gerechteres Urtheil über sie zu verbreiten.
Zu jener Zeit bildete übrigens, in Folge seiner Aufforderung um den spanischen Missionär versammelt, schon eine Anzahl von ihnen den Kern der Mission von Santa-Juana. Sie waren bereits für die Lehren der christlichen Religion empfänglich geworden und hatten das dem eifrigen Apostel zu verdanken, der ihnen alle Freuden des Erdenlebens opferte.
Der Pater Esperante ging von Anfang an darauf aus, mit den unglücklichen Guaharibos innigste Fühlung zu halten. Deshalb siedelte er sich tief drin in den Savannen der Sierra Parima an. Hier beschloß er, ein Dorf zu gründen, das sich mit der Zeit zu einem Flecken entwickeln sollte. Von dem ihm verbliebenen Vermögen glaubte er keinen edleren Gebrauch machen zu können, als daß er es für dieses Werk der Barmherzigkeit verwendete, das gleich fest genug begründet werden sollte, um seinen Bestand auch für alle Zukunft zu sichern.
Bei seinem Eintreffen in dieser Wüstenei hatte der Pater Esperante als einzige Hilfskraft nur einen jungen Begleiter namens Angelos bei sich. Dieser damals fünfundzwanzigjährige Novize der ausländischen Missionen war gleich ihm selbst von dem apostolischen Eifer entflammt, der Zeichen und Wunder zu thun vermag. Beide hatten also – doch um den Preis welcher Schwierigkeiten und welcher Gefahren! – ohne zu erschlaffen und ohne zu wanken, die Mission von Santa-Juana gegründet und organisiert, ihnen war die leibliche und
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