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Der stolze Orinoco

Der stolze Orinoco

Titel: Der stolze Orinoco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Lippen zeigte, welche dann und wann zwischen dem von den Jahren gebleichten Barte zu sehen waren. Er war muthig und hochherzig in gleichem Grade – zwei Eigenschaften, die ja so häufig zu einer einzigen verschmelzen. Obwohl er die Sechzig überschritten hatte, zeugten seine stramme Haltung, seine breiten Schultern, seine hochgewölbte Brust und seine kräftigen Gliedmaßen für die große Widerstands-und Leistungsfähigkeit des Mannes, der noch geistig und körperlich auf der Höhe des Lebens stand.
    Was der Missionär vorher gewesen wäre, ehe er sich seiner schweren Aufgabe als Verbreiter christlicher Lehren widmete, hätte niemand sagen können. Er bewahrte darüber unverbrüchliches Schweigen. Nur dann und wann konnte man aus düstern Schatten, die über sein männliches Antlitz zogen, vielleicht schließen, daß ihn schmerzliche Erinnerungen an eine unvergeßliche Vergangenheit erfüllten. Der Pater Esperante war bei seinem Unternehmen übrigens von seinem jüngeren Gehilfen sehr wesentlich unterstützt worden. Der Bruder Angelos war ihm mit Leib und Seele ergeben und konnte mit Recht einen nicht geringen Theil des Erfolges des frommen Werkes beanspruchen.
    Neben diesen Beiden bildeten einige aus den dazu geeignetsten Indianern erwählte Personen die Beamtenschaft des Dorfes, wenn man auch sagen konnte, daß der Pater Esperante, der gleichzeitig Gemeindevorstand und Priester war, der die Kinder taufte, die Ehen schloß und einsegnete, wie er den Sterbenden in ihrem letzten Stündlein beistand, in seiner Person alle Aemter der Mission vereinigte.
    Er mußte sich für seine Bemühungen auch reichlich entschädigt fühlen, wenn er sah, wie herrlich sein Werk gediehen und gewachsen war. Dieser Schöpfung war gewiß die Lebensdauer gesichert, wenn die einstigen Nachfolger des Missionärs dieselben Wege wandelten, die er stets innegehalten hatte.
    Seit dem letzten Angriffe der Quivas hatte nichts die Ruhe der Bewohner von Santa-Juana gestört, und allem Anscheine nach sollten sie auch in Zukunft von der Wiederholung eines solchen verschont bleiben.
    Gegen fünf Uhr am Nachmittag des 1. November, dem Tage, nachdem Jacques Helloch und seine Gefährten in Alfaniz’ Hände gefallen waren, entstand im Dorf jedoch, wenn nicht eine Panik, so doch eine gewisse Beunruhigung.
    Es war nämlich ein junger Indianer aufgetaucht, der in aller Eile, als ob er verfolgt würde, von der Savanne her herangestürmt kam.
    Einige Guaharibos traten aus ihren Häusern, und sobald der junge Indianer sie gewahr wurde, rief er fast ängstlichen Tones:
    »Pater Esperante! Pater Esperante!«
    Sofort führte ihn Bruder Angelos dem Missionär zu.
    Dieser erkannte auf den ersten Blick den Knaben, der, als er mit seinem Vater in Santa-Juana wohnte, die Schule der Mission fleißig besucht hatte.
    »Du… Gomo?« fragte er.
    Dieser konnte zunächst kaum ein Wort hervorbringen.
    »Woher kommst Du denn?
    – Ich bin entflohen… heute früh… und bin gelaufen, was ich konnte, um hierher zu kommen.«
    Dem jungen Indianer versagte fast der Athem.
    »Ruh’ Dich erst aus, mein Kind, ermahnte ihn der Missionär, Du stirbst wohl beinahe vor Hunger. Willst Du etwas essen?
    – Nicht ehe ich Ihnen gesagt habe, warum ich gekommen bin. Es bedarf schleunigster Hilfe.
    – Hilfe?…
    – Dort unten sind Quivas… drei Stunden von hier… in der Sierra… nahe beim Flusse.
    – Was? Quivas? rief Bruder Angelos.
    – Und ihr Häuptling ebenfalls, setzte Gomo hinzu.
    – Ihr Anführer, wiederholte Pater Esperante, der entwichene Sträfling… der schreckliche Alfaniz…
    – Er ist vor wenigen Tagen wieder zu ihnen gestoßen, und vorgestern kurz nach Mittag haben sie eine Gesellschaft von Reisenden überfallen, die ich nach Santa-Juana führte.
    – Reisende, die nach der Mission wollten?
    – Ja, ehrwürdiger Vater, französische Reisende.
    – Franzosen!«
    Das Gesicht des Missionärs überflog eine plötzliche Blässe, und dann schloß er einen Augenblick die Lider.
    Hierauf ergriff er den jungen Indianer bei der Hand, zog ihn nahe zu sich heran und sagte zu ihm mit einer Stimme, die vor unwillkürlicher Erregung zitterte:
    »Sage mir Alles, was Du weißt!«
    Gomo fuhr nun fort:
    »Vor vier Tagen betrat ein Mann die Hütte, die mein Vater und ich in der Nähe des Orinoco bewohnten. Er fragte uns, wo sich die Quivas befänden und ob wir ihn zu ihnen führen wollten. Das waren dieselben, die unser Dorf San-Salvador zerstört und meine Mutter getödtet hatten. Mein

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