Der stolze Orinoco
unternahm die jetzige gefährliche und beschwerliche Reise also in der Absicht, seinen Vater wieder zu finden. Die Verfolgung eines solchen Zieles durch einen jungen Menschen von siebzehn Jahren war ja geeignet, das Interesse aller gefühlvollen Seelen wachzurufen. Die Herren Miguel, Felipe und Varinas nahmen sich auch vor, ihm bei allen Bemühungen, die er aufwenden würde, den Oberst von Kermor betreffende Nachrichten zu erhalten, nach Kräften behilflich zu sein.
Nicht zu entscheiden blieb es freilich vorläufig, ob es Herrn Miguel und seinen beiden Collegen gelingen werde, den Widerstand des unzugänglichen Sergeanten Martial zu brechen, ob es diesem passen würde, daß sie mit seinem Neffen nähere Bekanntschaft machten, und ob sie den Triumph erleben würden, das ganz ungerechtfertigte Mißtrauen des alten Soldaten zu besiegen. Ob sich dann wohl seine Cerberusblicke, die jetzt jedermann abstießen, sänftigten? Das mochte schwierig sein, und doch kam es vielleicht dazu, vorzüglich wenn beide Parteien in demselben Fahrzeuge nach San-Fernando fuhren.
Caïcara zählt etwa fünfhundert Einwohner und wird von zahlreichen Reisenden besucht, die in Geschäften nach dem Oberlauf des Orinoco wollen. Man findet hier deshalb ein oder zwei Hôtels, in Wirklichkeit einfache Hütten, und in einer derselben sollten die drei Venezuolaner einerseits und die beiden Franzosen andrerseits für die wenigen Tage Unterkunft suchen, die sie hier am Orte blieben.
Schon am folgenden Tage, am 16. August, durchstreiften der Sergeant Martial und Jean Caïcara, um nach einem passenden Fahrzeug zu spähen.
Caïcara ist in der That ein hübscher, freundlicher kleiner Flecken; es liegt hineingeschmiegt zwischen den ersten Hügeln der Bergwelt des Parime und dem rechten Ufer des Stromes, gegenüber dem Dorfe Cabruta, das sich an der andern Seite am Apurito hinstreckt. Im Vordergrunde erblickt man eine der am Orinoco so häufigen, mit schönem Baumwuchs bedeckten Inseln. Sein kleiner Hafen liegt zwischen granitnen Felsenmassen, die steil aus dem Strome emporstreben. Man zählt daselbst hundertfünfzig Hütten, oder sagen wir Häuser, die, meist aus Stein errichtet, ein Dach aus Palmenblättern haben, während nur einzelne Dächer Ziegel aufweisen, deren Roth deutlich durch die grüne Umgebung schimmert. Die Ortschaft wird von einem etwa fünfzig Meter hohen Hügel beherrscht. Auf dessen Gipfel erhebt sich ein seit dem Zuge Miranda’s und seit dem Unabhängigkeitskriege verlassenes Kloster von Missionären, in dem sich in frühester Zeit scheußliche Scenen von Cannibalismus abgespielt haben sollen, was den mit Recht schlechten Ruf begründete, in dem die alten Caraïben standen.
Manche alte Sitten und Gebräuche herrschen in Caïcara übrigens noch heute, nur daß sie mit denen des Christenthums in wunderlicher Weise verquickt erscheinen, so zum Beispiel die Sitte des Velorio, die der Todtenwache, welche der französische Forscher einmal selbst kennen lernte. Zu einer solchen werden viele Bekannte eingeladen, die sich an Kaffee, Tabak, vorzüglich aber an Branntwein, dem Aguardiente, gütlich thun, und wo vor der Leiche des Gatten oder des Kindes die Gattin oder die Mutter… einen Ball eröffnet, bei dem getanzt wird, bis die berauschten Theilnehmer erschöpft zusammenbrechen. An eine Leichenfeier wird das schwerlich jemand erinnern.
Wenn die Ermiethung eines Fahrzeuges für die achthundert Kilometer lange Fahrt auf dem mittleren Orinoco zwischen Caïcara und San-Fernando Jean von Kermor’s und des Sergeanten Martial erste Sorge war, so mußten sich auch die Herren Miguel, Felipe und Varinas in erster Linie damit befassen, galt es doch, sich vor allem die Weiterreise unter den günstigsten Bedingungen zu sichern.
Nun dürfte man wohl, ganz wie Herr Miguel, glauben, daß ein Einverständniß zwischen ihm und dem Sergeanten Martial die Sache wenigstens vereinfacht hätte. Ob drei oder fünf Personen eine Barke benutzten, kam ziemlich auf eins hinaus, denn diese waren im allgemeinen groß genug, so viele und auch noch etwas mehr Fahrgäste aufzunehmen, ohne daß das eine Verstärkung der Bedienungsmannschaften nöthig gemacht hätte.
Die Anwerbung solcher Schiffsleute ist nicht immer leicht, da man unbedingt geübte Männer engagieren muß. Dazu giebt es eine Menge gefährlicher Raudals und nicht wenige Stellen, die durch Gestein oder Sand schwer zu passieren sind oder gar dazu zwingen, die Fahrzeuge weite Strecken über Land zu
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