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Der stolze Orinoco

Der stolze Orinoco

Titel: Der stolze Orinoco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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dauernd zu erhalten, schätze ich deren Zahl auf den Sandbänken der Manteca, hier in diesem Theile des Orinoco, wenigstens auf eine Million.«
    Die Berechnung des Herrn Miguel war keineswegs übertrieben. Es sind thatsächlich Myriaden dieser Thiere, die eine unbekannte Anziehungskraft hier versammelt – hat E. Reclus gesagt – eine lebendige, langsame, aber auch unwiderstehliche Fluthwelle, die gleich einer Ueberschwemmung oder einer Lawine Alles mit sich fortreißt.
    Durch Menschen wird freilich eine ungeheure Menge der Thiere schon in deren Eiern vernichtet, und die Rasse könnte wohl einmal aussterben. Einige frühere Fangstellen haben die Schildkröten, zum großen Schaden für die Indianer, schon ganz verlassen, darunter das Uferland von Cariben, etwas unterhalb der Mündung des Meta.
    Der Indianer schilderte im Laufe des Gesprächs noch einige interessante Einzelheiten von dem Verhalten der Thiere in der Legezeit. Sie ziehen dann in dem sandigen Boden lange Furchen, graben darin etwa zwei Fuß tiefe Löcher auf, in die die Eier gelegt werden – das dauert von der Mitte des März an gegen zwanzig Tage – und bedecken schließlich das Loch sorgfältig mit Sand, unter dem die Eier bald von der Sonnenwärme ausgebrütet werden.
    Ohne von der erwähnten Ausbeute an Oel zu reden, fangen die Indianer auch Schildkröten selbst zu Nahrungszwecken, denn deren Fleisch wird – mit Recht – hoch geschätzt. Sie unter oder im Wasser abzufangen, ist so gut wie unmöglich. Auf den Sandbänken dagegen bemächtigt man sich ihrer, wenn sie mehr vereinzelt dahinkriechen, einfach mittelst eines Stockes, womit sie auf den Rücken umgewendet werden – für Chelidonier eine höchst kritische Lage, da sie von selbst nicht wieder auf die Füße kommen können.
    »O, es giebt auch Menschen, die ihnen darin gleichen, bemerkte Herr Varinas. Wenn diese durch Unglück einmal gestürzt sind, können sie sich auch nicht wieder aufraffen.«
    Eine ganz richtige Bemerkung, die in recht unverhoffter Weise das Gespräch über die Schildkröten des Orinoco beendete.
    Jetzt wendete sich Herr Miguel an den Indianer mit einer neuen Frage.
    »Haben Sie vielleicht, sagte er, die beiden französischen Reisenden, die vor vier oder fünf Wochen den Strom hinausgefahren sind, gesehen, als sie bei Buena Vista vorüberkamen?«
    Diese Frage interessierte, da sie Landsleute betraf, vor allem Jean von Kermor, und er wartete deshalb mit gewisser Erregung auf die Antwort des Indianers.
    »Zwei Europäer?… fragte dieser.
    – Ja, zwei Franzosen.
    – Vor fünf Wochen?… Richtig, die hab’ ich gesehen, antwortete der Indianer; ihre Falca lag vierundzwanzig Stunden lang an derselben Stelle wie die Ihrige.
    – Sie waren damals wohlauf?… fragte der junge Mann.
    – Vollkommen… zwei tüchtige Männer in bester Laune. Der eine war ein Jäger, wie ich einer sein, und besaß einen Carabiner, wie ich einen haben möchte. Jaguars und Pumas fielen in Massen von seinem Blei. O, das muß schön sein, mit einer Waffe zu schießen, die ihre Kugel auf fünfhundert Schritt weit einer Tigerkatze oder einem Ameisenbär in den Kopf jagt!«
    Das Auge des Indianers leuchtete heller auf, als er so sprach, was bei ihm, einem sichern Schützen und leidenschaftlichen Jäger, ja nicht zu verwundern war. Was konnten aber seine Kinderflinte, sein Bogen und seine Pfeile leisten gegenüber den Präcisionswaffen, die jener Franzose jedenfalls besaß?
    »Und sein Begleiter?… fragte Herr Miguel.
    – Sein Begleiter? wiederholte der Indianer nachdenkend. Ach ja, der… das war ein Pflanzensucher… ein Kräutersammler…«
    Hier fügte die Indianerin noch einige Worte in der Eingebornensprache an die ihre Gäste nicht verstehen konnten, und fast gleichzeitig sagte ihr Gatte:
    »Ganz recht… ich habe ihm einen Sauraustengel geschenkt, der ihm viel Vergnügen zu machen schien… eine seltene Pflanze… und er war darüber so erfreut, daß er ein kleines Bild von uns mit einer Maschine herstellen wollte… unser Bild auf einem kleinen Spiegel…
    – Jedenfalls eine Photographie, sagte Herr Felipe.
    – Würden Sie sie uns zeigen?« fragte Herr Miguel.
    Das Mädchen verließ ihren Platz neben ihrem Freunde Jean, öffnete einen der auf der Erde stehenden Canastos und entnahm ihm »das kleine Bild«, das sie dem jungen Manne brachte.
    Es war in der That eine Photographie. Der Indianer zeigte darauf seine beliebte Haltung und hatte den Basthut auf dem Kopfe und die Cobija um die

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