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Der stolze Orinoco

Der stolze Orinoco

Titel: Der stolze Orinoco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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verschiedene Bäume in der Nähe vom Blitze getroffen und gespalten worden waren.
    Die an ähnliche Unwetter auf dem Orinoco gewöhnten Indianer werden davon offenbar weniger beeinflußt, als selbst die Thiere. Ihre Nerven widerstehen einer solchen physischen und seelischen Erschütterung. Nicht ganz so erging es dem jungen Manne, und wenn dieser auch keine »eigentliche Furcht vor dem Donner« wie man sagt, hatte, so empfand er doch jene nervöse Unruhe, von der so häufig auch kräftige Naturen nicht verschont bleiben.
    Bis Mitternacht dauerte die Unterhaltung der Gäste des Indianers, und der Sergeant Martial hätte daran gewiß lebhaftes Interesse genommen wenn er die spanische Sprache ebenso gut verstanden hätte, wie sein Neffe.
    Das von den Herren Miguel, Felipe und Varinas eingeleitete Gespräch bezog sich in der Hauptsache auf die Beschäftigung, die jedes Jahr, doch drei Monate früher, viele Hunderte Indianer nach diesem Theil des Stromes heranzieht.
    Schildkröten giebt es ja auch anderwärts an den Ufern des Orinoco, doch nirgends in so großen Mengen, wie auf den Sandbänken zwischen dem Rio Cabullare und dem Flecken la Urbana. Wie der Indianer erzählte, der, mit den Gewohnheiten des Chelidonier-Geschlechts sehr vertraut, vorzüglich bewandert in der Jagd und im Fischfang – diese Worte ergänzen sich hier zu einer Bedeutung – zu sein schien, tauchen die Schildkröten hier vom Februar an, man übertreibt nicht, wenn man sagt, zu vielen Hunderttausenden auf.
    Natürlich konnte der mit der naturwissenschaftlichen Classification nicht vertraute Indianer nicht angeben, zu welcher Art jene Schildkröten gehörten, die sich auf den Geländen längs des Orinoco so ungeheuerlich vermehrt haben. Er begnügte sich damit, sie zu fangen, ganz ebenso wie die Guarahibos, die Otomacos und andre Indianerstämme, denen sich auch die Mestizen von den benachbarten Ilanos anschlossen; er sammelte die Eier der Thiere ein und bereitete daraus das gesuchte Oel auf gleich einfache Weise, wie man das aus den Oliven gewinnt. Als Aufnahmegefäß dient hier gleich das Canot, das man auf den flachen Strand zieht; darin stehen Körbe, in die man die Eier wirst; ein Stock dient noch dazu, sie zu zerbrechen, und dann fließt deren mit Wasser vermengter Inhalt einfach in das Canot aus. Eine Stunde später ist das Oel zur Oberfläche aufgestiegen, das erhitzt man dann, um darin enthaltenes Wasser zu verdampfen und das Oel zu klären – damit ist die Operation beendet.
    »Und dieses Oel ist, wie es scheint, von vortrefflicher Art, sagte Jean, der sich in dieser Beziehung auf die Angaben seines geschätzten Führers stützte.
    – Gewiß, ganz vortrefflicher Art, versicherte Herr Felipe.
    – Zu welcher Familie gehören diese Schildkröten? fragte der junge Mann.
    – Zur Cinosternon-Sippe der Scorpioïden, antwortete Herr Miguel, und diese Thiere, deren Rückenschild fast einen Meter mißt, erreichen häufig ein Gewicht von hundertfünfzig Pfund.«
    Da Herr Varinas seine Specialkenntnisse von der Ordnung der Chelidonier noch nicht zum Besten gegeben hatte, bemerkte er, daß der richtige wissenschaftliche Name der Scorpioïden seines Freundes Miguel
Podocnemis dumerilianus
laute, eine Bezeichnung, für die sich der Indianer natürlich nicht im mindesten interessierte.
     

    »Schlechtes Wetter,« sagte der Sergeant Martial. (S. 84.)
     
    »Noch eine Frage, begann da Jean von Kermor, sich an Herrn Miguel wendend.
    – Du sprichst zu viel, lieber Neffe, murmelte der Sergeant Martial, während er sich den Schnurrbart drehte.
    – Herr Sergeant, fragte Herr Miguel lächelnd, warum wollen Sie Ihren Neffen hindern, sich belehren zu lassen?
    – Weil… nun weil er von solchen Sachen nicht mehr zu wissen braucht, als sein Onkel!
    – Ja, ja, Du hast ja recht, geehrter Mentor, erwiderte der junge Mann; ich frage aber doch: können diese Thiere irgendwie gefährlich werden?
    – Durch ihre große Zahl, ja, erklärte Herr Miguel; man würde nicht wenig Gefahr laufen, wenn man ihnen, sobald sie so zu Hunderttausenden dahinziehen, in den Weg käme.
    – Zu Hunderttausenden!
    – Gewiß, Herr Jean, da man nicht weniger als fünfzig Millionen Eier jährlich nur für die zehntausend großen Flaschen sammelt, die mit dem Oel aus den erbeuteten Thieren gefüllt werden. Da nun jede Schildkröte etwa hundert Eier legt und, obgleich Raubthiere eine ansehnliche Menge davon vernichten, doch immer noch genug Schildkröten übrig bleiben, um die Rasse

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