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Der stolze Orinoco

Der stolze Orinoco

Titel: Der stolze Orinoco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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dumpfes Geräusch, das man hätte mit fernem Donnerrollen verwechseln können. Gleichzeitig gerieth das Wasser des Stromes in eine eigenthümliche Bewegung, bei der die »Gallinetta« zu schwanken anfing.
    Der Sergeant Martial und der junge Mann standen auf, traten aus dem Deckhause heraus und stellten sich neben den Mast.
    Der Schiffer Valdez und seine Leute befanden sich bereits auf dem Vordertheil und beobachteten den Horizont.
    »Was bedeutet denn das? fragte Jean.
    – Ich weiß es nicht.
    – Ist ein Gewitter im Anzuge?
    – Nein, der Himmel ist ganz wolkenlos und es weht eine schwache, östliche Brise.
    – Woher rührt denn dieser Aufruhr im Wasser?
    – Ich vermag ihn nicht zu erklären,« versicherte Valdez.
    Die Erscheinung trotzte in der That jeder Erklärung, wenn nicht etwa stromauf-oder stromabwärts von der Ortschaft eine Fluthwelle heranrauschte, die durch ein plötzliches Steigen des Wassers entstanden war. Auf dem sehr launischen Orinoco war man vor keiner Ueberraschung sicher.
    An Bord der »Maripare« herrschte unter den Passagieren wie unter der Mannschaft dasselbe Erstaunen.
    Herr Miguel und seine beiden Freunde, die auch herausgetreten waren, versuchten vergeblich, die Ursache der auffallenden Erscheinungen zu ergründen.
    Auch als man sich zwischen beiden Piroguen darüber aussprach, gelangte man zu keiner annehmbaren Erklärung.
    Wurde die Bewegung des Wassers in den beiden Falcas wahrgenommen, so machte sich auch eine Unruhe auf dem Uferlande bemerkbar.
    Fast in derselben Minute stürzten die Einwohner la Urbanas aus ihren Hütten und Häusern und eilten nach dem Ufer hin.
    Herr Marchal und der Beamte erschienen auch unter der Volksmenge, der sich ein nicht geringer Schrecken bemächtigt hatte.
    Es war jetzt einhalbfünf Uhr früh und der Tag begann allmählich zu grauen.
    Die Passagiere der beiden Fahrzeuge gingen ans Land, um den Beamten über die seltsame Erscheinung zu befragen.
    »Was geht denn vor? fragte Herr Miguel.
    – Offenbar handelt es sich hier um ein Erdbeben in der Sierra Matapey, erwiderte der Beamte, und die Erschütterungen davon pflanzen sich bis unter das Flußbett fort.«
    Herr Miguel war derselben Ansicht. Es ließ sich kaum bezweifeln, daß die ganze Gegend unter seismischen Erschütterungen stand, die in den Ilanos ja so überaus häufig vorkommen.
    »Es muß indeß noch etwas andres mit im Spiele sein, meinte Herr Miguel. Hören Sie nicht das grollende Geräusch von Osten her?«
    Bei scharfem Lauschen bemerkte man in der That eine Art tiefes Grollen, über dessen Natur sich niemand klar werden konnte.
    »Trotz alledem, sagte Herr Marchal, glaube ich nicht, daß für la Urbana irgendetwas zu fürchten ist…
    – Das meine ich auch, erklärte der Beamte, man könnte ohne Gefahr in die Häuser zurückkehren.«
    Das mochte richtig sein, dennoch folgten nur sehr wenige von den Anwesenden diesem Rathe. Uebrigens wurde es jetzt schon heller, und vielleicht konnte man dann mit den Augen die Erklärung einer Erscheinung finden, die mittelst des Gehörs nicht zu erlangen war.
    Drei volle Stunden nahm das ferne Geräusch ohne Unterlaß zu. Es schien so, als ob die Bodenschichten übereinander hinglitten. Dumpf und taktmäßig setzte sich das Phänomen auch noch nach dem Stromufer fort, als wäre der Erdboden torfmoorartig elastisch. Daß die Erschütterungen von einem Erdbeben herrührten, dessen Centrum sich in der Sierra Matapey befand, war höchst wahrscheinlich, da die Stadt schon wiederholt unter gleichen Umständen zu leiden gehabt hatte. Was freilich das rollende Geräusch, ähnlich dem Lärmen von einer auf dem Marsch befindlichen Armee, anging, konnte niemand dessen wirkliche Ursache errathen.
    Der Beamte und Herr Marchal begaben sich, begleitet von den Passagieren der beiden Falcas, nach den ersten Abhängen des Cerro von la Urbana, um die Umgebung in weiterem Kreise überblicken zu können.
    Aehnlich einem mit leuchtendem Gase gefüllten Ballon, der vom Winde nach den Ufern des Orinoco getrieben würde, stieg die Sonne am völlig klaren Himmel empor. Nirgends war eine Wolke, nirgends ein Vorzeichen zu erblicken, daß sich ein Unwetter entwickeln könnte.
    Als die Herren etwa dreißig Meter hinauf gelangt waren, richteten sie die Blicke nach Osten hinaus.
    Vor ihren Augen lag das ganze grenzenlose Land, die ungeheure grünende Ebene, jenes »schweigsame Gräsermeer., wie die poetische Bezeichnung Elisée Reclus’ lautete.
    Dieses Meer erschien freilich nicht

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