Der stolze Orinoco
brummte er in seiner Ecke vor sich hin und schämte sich wie ein Onkel, der seinen Neffen verloren hat.
Jacques Helloch hielt es für ganz selbstverständlich, Germain Paterne zu erklären:
»Du begreifst wohl, daß wir Fräulein von Kermor nicht verlassen konnten.
– Ich begreife Alles, lieber Jacques, sogar die Dinge, von denen Du schlankweg behauptest, daß ich sie nicht verstände. Einen jungen Mann hast Du zu retten geglaubt, und ein junges Mädchen hast Du dem Tode entrissen; da liegt es ja auf der Hand, daß es uns rein unmöglich ist, eine so interessante Persönlichkeit zu verlassen.
– Das hätt’ ich auch einem Jean von Kermor gegenüber nicht gethan! versicherte Jacques Helloch. Nein, ich hätte nie zugegeben, daß er sich solchen Gefahren aussetzte, ohne daß ich sie mit ihm theilte. Es war meine Pflicht… unser Beider Pflicht, Germain, ihm bis zum Ziele behilflich zu sein…
– Sapperment!« rief Germain Paterne scheinbar in größtem Ernst.
Wir fügen hier ein, was Fräulein von Kermor ihren Landsleuten in kurzen Worten mitgetheilt hatte.
Der 1829 geborne, jetzt also im dreiundsechzigsten Jahre stehende Oberst von Kermor hatte 1859 eine Kreolin aus Martinique geheiratet. Die beiden ersten Kinder dieser Ehe waren schon in sehr zartem Alter verstorben. Jeanne hatte sie niemals kennen gelernt, und Herr und Frau von Kermor waren schon über diesen Verlust untröstlich gewesen.
Herr von Kermor, ein ausgezeichneter Officier, verdankte seinem Muthe, seinen Kenntnissen und andern besondern Eigenschaften ein glänzendes, schnelles Avancement. Mit vierzig Jahren war er bereits Oberst. Der Soldat, später Corporal und Sergeant Martial hatte sich mit Leib und Seele diesem Officier ergeben, der ihm auf dem Schlachtfelde von Solferino das Leben gerettet hatte. Beide kämpften später auch zusammen in dem unglücklichen Feldzug gegen die deutschen Heere.
Zwei bis drei Wochen vor der 1870 er Kriegserklärung hatten Familienverhältnisse Frau von Kermor genöthigt, nach Martinique zu reisen. Hier erblickte Jeanne das Licht der Welt. Trotz des Kummers, der ihn über den Verlauf des Feldzuges bedrückte, freute sich der Oberst doch herzlich über die Geburt dieses Kindes. Hätte ihn die Pflicht nicht zurückgehalten, so wäre er zu Gattin und Kind nach den Antillen geeilt, um beide nach Frankreich heimzuholen.
Unter den gegebenen Verhältnissen wollte Frau von Kermor aber nicht warten, bis das Ende des Krieges ihrem Manne erlaubte, sie abzuholen. Es drängte sie, an seiner Seite zu weilen, und im Mai 1871 schiffte sie sich in Saint-Pierre-Martinique auf einem nach Liverpool bestimmten englischen Packetboote, dem »Norton«, ein.
Frau von Kermor hatte noch eine Kreolin bei sich, die Amme ihres Töchterchens, das erst wenige Monate alt war. Sie wollte diese Frau in ihrem Dienst behalten, wenn sie in die Bretagne und nach Nantes, wo sie vor ihrer Abreise gewohnt hatte, zurückgekehrt wäre.
In der Nacht vom 23. zum 24. Mai wurde der »Norton« aber bei dichtem Nebel durch den Dampfer »Vigo« von Santander angefahren. In Folge dieses Zusammenstoßes versank der »Norton« fast auf der Stelle mit allen Passagieren, bis auf fünf, mit der ganzen Besatzung, bis auf zwei Mann, ohne daß das andre Schiff noch mehr Menschenleben hätte retten können.
Frau von Kermor hatte nicht Zeit gefunden, ihre Cabine zu verlassen, die an der Seite lag, wo der Zusammenstoß erfolgte; die Amme kam ebenfalls ums Leben, obgleich es ihr gelungen war, mit dem Kinde das Deck zu erreichen.
Wie durch ein Wunder gehörte das Kind nicht zu den Opfern des Unfalls, dank dem hilfbereiten Muthe eines der zwei Matrosen vom »Norton«, denen es gelang, den »Vigo« zu erreichen.
Nach dem Versinken des »Norton« blieb der »Vigo«, der zwar am Bug beschädigt war, dessen Maschinen von der Collision aber nicht gelitten hatten, noch am Ort der Katastrophe liegen und ließ seine Boote aufs Meer. Alles bis zum hellen Tage fortgesetzte Suchen nach noch lebenden Verunglückten hatte leider keinen Erfolg, und das Schiff mußte nun der nächstgelegenen Antilleninsel zusteuern, wo es acht Tage darauf eintraf.
Nun male man sich die Gemüthsstimmung des alten Soldaten aus… (S. 229.)
Von hier aus wurden die wenigen Geretteten, die auf dem »Vigo« Zuflucht gefunden hatten, nach ihrem Bestimmungsorte befördert.
Unter den Passagieren dieses Dampfers befand sich eine spanische Familie, die aus Havanna stammende Familie Eridia, und diese
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