Der Strandlaeufer
die Dunkelheit im Sack des schwarzen Mannes. Verzweifelt bellt sie an gegen die Angst. So hoffnungslos bellen nur Kettenhunde, die die Kette von den Beinen reißt, wenn sie einen Eindringling anspringen. Ein Kettenhund weiß, dass er ohnmächtig ist außerhalb des Kreises, dessen Radius die Kette ist. Darum kläfft er so wütend, denn er ist nicht wütend auf den Menschen, der sich ihm nähert, sondern er ist wütend auf seine eigene Lage, die ihn lächerlich macht.
Der Sohn aber fühlt sich gescholten bei allem, was die Mutter sagt. Seine Angst ist genauso groß wie die der Mutter, aber es ist nicht die Angst vor der Dunkelheit, sondern vor dem Licht, in dem alles viel zu genau sichtbar wird. Auch wenn die Mutter über Dinge redet, über Nachbarn, die sie schlecht macht, oder über den eigenen Mann, immer fühlt sich der Sohn dabei gescholten, als sei er schuld an allem.
»Es ist schön hier im Garten«, sagt sie und lehnt sich zurück, atmet die Luft genießerisch ein. Der Sohn aber glaubt, eine Kritik herauszuhören, die da lautet: »Du hilfst nicht genug im Garten, du hast keinen Sinn für Blumen, du hast selber keinen Garten, du hast überhaupt nichts, dir ist einfach nicht zu helfen.«
Als eine Wolke kurz die Sonne bedeckt und ihr Schatten auf sie beide fällt, sagt die Mutter: »Ach, ist das herrlich, diese Kühle. Es tut gut, einen Augenblick im Schatten zu sitzen, wenn die Sonne so brennt.« Der Sohn aber hört: »Du konntest schon als kleines Kind keine Sonne vertragen. Immer hattest du gleich Sonnenbrand. Du hast dich den ganzen Sommer über gepellt wie eine Pellkartoffel. Gibt es überhaupt etwas, das du vertragen kannst außer Alkohol?«
Als die Sonne wieder hervorkommt, scheint sich der Sohn zu freuen. Er hält das Gesicht in die Sonnenstrahlen, als versuche er, braun zu werden, und er sitzt nicht mehr so verkrümmt im Sessel. »Willst du nicht den Platz mit mir tauschen«, sagt die Mutter. »So wie du jetzt sitzt, bekommst du bestimmt von der Sonne eine rote Nase.«
O ja, er liebt seine Mutter, aber es ist eine Liebe im schlotternden Gewand des Hasses. Auch die Mutter liebt ihn, und sie verspürt ebenfalls so etwas wie Abneigung dabei. Beide ahnen, dass ihre Gefühle füreinander sich vollkommen gleichen. Man kann sie ineinander stecken, um sie gegenseitig auszulöschen. Der Sohn weiß nur nicht, ob es besser ist, die Liebe in den Hass zu stecken oder den Hass in die Liebe. Vielleicht ist es auch gleichgültig, was man in was hineinsteckt. Verschwinden muss es immer dabei. Aber dunkel spürt er, dass die Liebe etwas größer ist als der Hass, der dafür ein wenig stärker ist. Also ist es vielleicht doch ratsam, den Hass in die Liebe zu stecken.
»Entsinnst du dich noch, als der Krieg zu Ende war?«, fragt die Mutter und beißt in das Erdbeertörtchen. »Da ging es uns nicht gut. Da hatte sich alles gegen uns verschworen. Wie schwer war es, dich zu ernähren, mein Sohn. Wie bin ich herumgerannt für ein bisschen Brot und Wasser.«
Der Sohn nickt. Innerlich übersetzt er die Worte der Mutter so: »Du bist mir immer zur Last gefallen. Schon als Baby konntest du nie genug von allem bekommen.«
»Du hörst mir wieder mal überhaupt nicht zu«, sagt die Mutter, während sie sich den Rest des Erdbeertörtchens in den Mund schiebt. Sie hat ihr Gebiss herausgenommen, und der Sohn sieht, wie eine farblose Zunge die glasierten Früchte zerdrückt. Es ist die Zunge einer Katze. Das Gebiss liegt neben dem Teller und sieht aus wie der einzige sichtbare Teil eines sonst unsichtbaren Totenschädels.
»Du hast schon als ganz kleines Kind nie zugehört, wenn man dir etwas erklärt hat.« Wieder beginnt sie zu reden, ohne Pause, ohne Luft zu holen. Dem Sohn ist, als käme die Stimme aus dem Gebiss.
»Es ist schöne Luft hier draußen, ich liebe die schöne Luft und diese Stille! Ich finde es herrlich, hier zu sitzen, diese Stimmung, das Licht, die Atmosphäre! Es ist eine Ruhe, ein Frieden, wie er nicht jedem geschenkt wird. Hörst du die Flugzeuge? Jaja, in diesem Herbst ist Manöver. Das hast du sicher nicht gewusst, mein Sohn, auch wenn du sonst immer alles zu wissen glaubst!«
Der Sohn sieht zum Himmel, wo watteweiße Wolken sich übereinander türmen.
»Sie üben. Die armen Piloten, die jetzt dort oben am Himmel sind, aber sie tun es für uns. Hast du schon den Hibiskus gesehen? Und weißt du überhaupt, was dein Vater und ich mit diesem Garten vorhaben? Aber du hörst ja nie zu, wenn man dir etwas
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