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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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seiner Termine abzusagen, ohne die Stimme zu erheben, ohne ein Zeichen der Anspannung, Unsicherheit oder Besorgnis. Er hatte mit der raschen Präzision eines Militärkommandanten, der plötzlich unter Beschuss gerät, gehandelt – und Gwen Ives, seine Sekretärin, war sein gelassenster Leutnant gewesen. Sie war ein Mädchen Ende zwanzig, dessen ruhiges, harmonisches und undurchdringliches Gesicht in das perfekt ausgestattete Büro passte. Sie gehörte zu seinen entschlossensten, kompetentesten Mitarbeitern; die Art und Weise, wie sie ihre Pflichten erledigte, deutete auf die Art klaren Verstand hin, der jedes Gefühl während der Arbeit als unverzeihlich unmoralisch empfindet.
    Als die kritische Lage überstanden war, war ihr einziger Kommentar: „Mr. Rearden, ich glaube, wir sollten alle unsere Lieferanten bitten, Taggart Transcontinental mit dem Transport zu beauftragen.“ „Das glaube ich auch“, antwortete er und fügte hinzu: „Telegrafieren Sie Fleming in Colorado. Sagen Sie ihm, ich möchte eine Kaufoption auf seine Kupfermine.“
    Er war an seinen Schreibtisch zurückgekehrt und sprach auf der einen Telefonleitung mit seinem Werkleiter und auf der anderen mit seinem Einkaufsleiter, er überprüfte jedes Datum und jede Tonne Erz, die verfügbar war – er konnte es nicht dem Zufall oder einer anderen Person überlassen, dafür zu sorgen, dass beim Betrieb eines Hochofens keine einzige Stunde Leerlauf entstand, denn die letzten Schienen für die John-Galt-Linie wurden gerade gegossen –, als der Summer ertönte und Miss Ives’ Stimme ankündigte, dass seine Mutter draußen wartete und ihn sprechen wollte.
    Er hatte seine Familie gebeten, niemals ohne Voranmeldung ins Werk zu kommen. Er war froh darüber gewesen, dass sie diesen Ort hassten und nur selten in seinem Büro auftauchten. Das Gefühl, das nun in ihm aufstieg, war ein starker Drang, seine Mutter vom Fabrikgelände weisen zu lassen. Es kostete ihn mehr Anstrengung, als mit dem Zugunglück fertig zu werden, stattdessen ruhig zu sagen: „Na schön. Bitten Sie sie herein.“
    Streitlustig und zugleich defensiv trat seine Mutter ein. Sie besah sich sein Büro, als wüsste sie, was es ihm bedeutete, und als wollte sie ihren Groll gegenüber allem kundtun, was für ihn von größerer Wichtigkeit war als ihre Person. Sie ließ sich lange Zeit, um sich in einem Lehnstuhl niederzulassen, ihre Tasche, ihre Handschuhe und ihr Kleid zu ordnen und währenddessen zu brummen: „Es ist eine feine Sache, wenn eine Mutter im Vorzimmer warten und eine Stenotypistin um Erlaubnis fragen muss, wenn sie ihren eigenen Sohn sprechen möchte, der …“
    „Mutter, ist es etwas Wichtiges? Ich bin heute sehr in Eile.“
    „Du bist nicht der Einzige, der Probleme hat. Natürlich ist es wichtig. Denkst du, ich würde mir die Mühe machen, hier herauszufahren, wenn es nicht wichtig wäre?“
    „Worum geht es?“
    „Es geht um Philip.“
    „Und?“
    „Philip ist unglücklich.“
    „Und weiter?“
    „Er findet es nicht richtig, von deinem Wohlwollen abhängig zu sein und von Zuwendungen zu leben und niemals einen einzigen Dollar sein Eigen zu nennen.“
    „Schön“, sagte er mit einem überraschten Lächeln. „Ich hatte schon lange darauf gewartet, dass er das einsieht.“
    „Es ist nicht richtig, dass ein so feinfühliger Mann sich in so einer Lage befindet.“
    „Das ist es wirklich nicht.“
    „Ich bin froh, dass du mit mir einer Meinung bist. Was du also tun musst, ist, ihm eine Stelle zu geben.“
    „Eine … wie bitte?“
    „Du musst ihm eine Stelle geben, hier im Werk – eine nette, saubere Stelle natürlich, mit einem Schreibtisch und einem Büro und einem ordentlichen Gehalt, eine Stelle, bei der er sich nicht mit deinen Tagelöhnern und stinkenden Hochöfen abgeben muss.“
    Er wusste, dass er sie sprechen hörte, aber er konnte sich nicht dazu durchringen, es zu glauben. „Mutter, das ist nicht dein Ernst.“
    „Natürlich ist das mein Ernst. Zufällig weiß ich, dass er das gerne möchte, nur dass er zu stolz ist, dich darum zu bitten. Wenn du ihm aber eine Stelle anbietest und es so aussehen lässt, als wärst du es, der ihn um einen Gefallen bittet – nun, dann bin ich sicher, dass er gerne annehmen würde. Deshalb musste ich hierher kommen, um mit dir zu sprechen – damit er nicht bemerkt, dass ich dich angestiftet habe.“
    Die Natur seines Verstandes erlaubte ihm nicht, zu verstehen, was er hörte. Der Gedanke an eine einzige Tatsache

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