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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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lachte. „Ach Eddie, was kümmern uns Leute wie er? Wir fahren den Expresszug, und sie fahren bloß auf dem Dach mit und machen eine Menge Lärm darum, dass sie die Anführer sind. Warum sollten wir uns darum scheren? Wir haben genug Kraft, um sie mitzuziehen – nicht wahr?“
    *
    „Sie wird nicht halten.“
    Die Sommersonne malte Feuerflecken auf die Fenster der Stadt und ließ den Staub auf den Straßen glitzern. Die Luft schimmerte in der Hitze, die von den Dächern bis zu der weißen Seite des Kalenders aufstieg. Der Motor des Kalenders lief immer weiter; er zeigte die letzten Tage im Juni.
    „Sie wird nicht halten“, sagten die Leute. „Wenn der erste Zug auf der John-Galt-Strecke fährt, werden die Schienen bersten. Sie werden niemals bis zur Brücke kommen. Und wenn sie es schaffen, wird die Brücke unter der Lokomotive einstürzen.“
    Von den Berghängen Colorados rollten Güterzüge über die Strecke der Phoenix-Durango Richtung Norden nach Wyoming, zur Hauptlinie von Taggart Transcontinental und Richtung Süden nach New Mexico, zur Hauptlinie der Atlantic Southern. Kolonnen von Tankwagen schwärmten in alle Himmelsrichtungen aus, von den Wyatt-Ölfeldern zu Betrieben in weit entfernten Bundesstaaten. Niemand sprach darüber. Für die Leute bewegten sich die Tankwagen leise wie Strahlen, und wie Strahlen wurden sie nur dann bemerkt, wenn sie zum Licht einer Lampe, zur Hitze eines Ofens oder zur Bewegung eines Motors wurden. Aber auch als solche wurden sie nicht wahrgenommen, sondern als selbstverständlich erachtet.
    Die Phoenix-Durango Railroad würde ihren Betrieb am 25. Juli einstellen. „Hank Rearden ist ein habgieriges Monster“, sagten die Leute. „Seht euch bloß das Vermögen an, das er gemacht hat. Hat er jemals etwas zurückgegeben? Hat er je einen Funken sozialen Gewissens gezeigt? Geld, das ist alles, worauf er aus ist. Er würde für Geld alles tun. Was kümmert es ihn, ob Menschen sterben, wenn seine Brücke einstürzt?“
    „Die Taggarts sind schon seit Generationen eine Bande von Aasgeiern gewesen“, sagten die Leute. „Es liegt ihnen im Blut. Man muss nur bedenken, dass der Gründer dieser Familie Nat Taggart gewesen ist, der bekanntlich antisozialste Halunke, der je gelebt hat und der das Land hat ausbluten lassen, um für sich ein Vermögen herauszuquetschen. Sie können sicher sein, dass ein Taggart nicht zögern würde, Menschenleben aufs Spiel zu setzen, um Gewinn zu machen. Sie haben schlechtere Schienen gekauft, weil sie billiger sind als Stahl – was kümmern sie Katastrophen und zerfetzte Menschenkörper, nachdem sie den Fahrpreis kassiert haben?“
    Die Leute sagten es, weil andere Leute es sagten. Sie wussten nicht, warum es gesagt wurde und überall zu hören war. Sie hatten keine vernünftigen Gründe und fragten auch nicht danach. „Vernunft“, hatte Dr. Pritchett ihnen gesagt, „ist der naivste aller Aberglauben.“
    „Die Quelle der öffentlichen Meinung?“, sagte Claude Slagenhop in einer Radioansprache. „Es gibt keine Quelle der öffentlichen Meinung. Sie entsteht im Allgemeinen spontan. Sie spiegelt den kollektiven Instinkt, den kollektiven Geist wider.“
    Orren Boyle gab dem Globe , dem Magazin mit der größten Auflage, ein Interview. Das Thema des Interviews war die schwerwiegende soziale Verantwortung von Metallurgen, und es hob die Tatsache hervor, dass Metall unzählige essenzielle Aufgaben übernahm, bei denen Menschenleben von seiner Qualität abhingen. „Man sollte meiner Meinung nach menschliche Wesen nicht als Versuchskaninchen bei der Einführung eines neuen Produkts missbrauchen“, sagte er. Er erwähnte keine Namen.
    „Nein, ich sage nicht, dass die Brücke einstürzen wird“, sagte der leitende Metallurg von Associated Steel in einer Fernsehsendung. „Ich sage das keinesfalls. Ich sage nur, wenn ich Kinder hätte, würde ich sie nicht mit dem ersten Zug fahren lassen, der diese Brücke überquert. Aber das ist nur eine persönliche Entscheidung, nicht mehr, weil ich Kinder überaus gerne mag.“
    „Ich behaupte nicht, dass die Rearden-Taggart-Konstruktion zusammenbrechen wird“, schrieb Bertram Scudder in The Future . „Vielleicht passiert es, vielleicht nicht. Das ist nicht der springende Punkt. Der springende Punkt ist: Welchen Schutz hat die Gesellschaft gegen die Arroganz, Selbstsucht und Gier von zwei ungezügelten Individualisten, in deren Lebensläufen auffällt, dass sie bar jeder von Gemeinsinn zeugenden Handlung sind.

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