Der Streik
Offensichtlich sind die beiden bereit, die Leben ihrer Mitmenschen aufs Spiel zu setzen, weil sie ihr eigenes Urteilsvermögen überschätzen und sich gegen die überwältigende Mehrheit anerkannter Experten stellen. Soll die Gesellschaft das zulassen? Wenn diese Brücke einstürzt, wird es dann nicht zu spät sein, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen? Wäre das nicht, als schlösse man die Stalltür erst, nachdem das Pferd ausgerissen ist? Es ist seit jeher die Überzeugung dieser Kolumne gewesen, dass gewisse Pferde gezügelt und eingesperrt werden sollten, wenn es um allgemeine gesellschaftliche Prinzipien geht.“
Eine Gruppierung, die sich selbst „Komitee uneigennütziger Bürger“ nannte, sammelte Unterschriften für eine Petition, die forderte, die John-Galt-Linie ein Jahr lang von Regierungsexperten untersuchen zu lassen, bevor der erste Zug darauf verkehren durfte. Die Petition erklärte, dass ihre Unterstützer nur aus einer „Bürgerpflicht“ heraus handelten. Die ersten Unterschriften stammten von Balph Eubank und Mort Liddy. Der Petition wurde in allen Zeitungen viel Raum gegeben, und es wurde ausgiebig darüber berichtet. Sie fand eine Beachtung voller Respekt, weil sie von uneigennützigen Menschen stammte.
Dem Baufortschritt der John-Galt-Linie wurde in den Zeitungen kein Platz eingeräumt. Kein Reporter kam je, um sich den Schauplatz anzusehen. Die allgemeine Haltung der Zeitungen war vor fünf Jahren von einem berühmten Herausgeber beschrieben worden. „Es gibt keine objektiven Fakten“, hatte er gesagt. „Jeder Tatsachenbericht spiegelt nur die Meinung einer Person wider. Es ist daher sinnlos, über Fakten zu schreiben.“
Einige Geschäftsleute fanden, man solle die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Rearden-Metall von kommerziellem Wert wäre. Sie starteten eine Umfrage zu diesem Thema. Sie beauftragten keine Metallurgen, um Proben zu untersuchen, oder Ingenieure, um die Baustelle zu besuchen. Sie führten eine öffentliche Umfrage durch. Zehntausend Menschen, die alle Gesinnungen repräsentierten, wurde die Frage gestellt: „Würden Sie mit der John-Galt-Linie fahren?“ Die überwältigende Mehrheit antwortete: „Nein, bestimmt nicht!“
Man hörte keine Stimmen, die Rearden-Metall öffentlich verteidigten. Und niemand maß der Tatsache irgendwelche Bedeutung bei, dass die Aktien von Taggart Transcontinental an der Börse stiegen, sehr langsam, fast verstohlen. Es gab Menschen, die das beobachteten und auf Nummer sicher gingen. Mr. Mowen kaufte Taggart-Aktien im Namen seiner Schwester. Ben Nealy kaufte sie im Namen eines Cousins. Paul Larkin kaufte sie unter einem Decknamen. „Ich glaube nicht, dass man umstrittene Dinge an die große Glocke hängen sollte“, sagte einer dieser Männer.
„Oh ja, der Bau schreitet gemäß Zeitplan voran“, sagte James Taggart seinem Verwaltungsrat und zuckte mit den Schultern. „Natürlich, Sie können ganz zuversichtlich sein. Meine liebe Schwester ist ja kein menschliches Wesen, sondern ein Verbrennungsmotor, daher muss man sich nicht wundern, dass sie Erfolg hat.“
Als James Taggart ein Gerücht zu Ohren kam, dass einige Brückenträger geborsten und herabgestürzt und dabei drei Arbeiter ums Leben gekommen seien, sprang er auf die Beine, rannte in das Büro seines Sekretärs und trug ihm auf, in Colorado anzurufen. Während er wartete, drückte er sich gegen den Schreibtisch seines Sekretärs, als suchte er dort Schutz; seine Augen blickten panisch ins Leere. Und doch formte sich sein Mund plötzlich zu einer Art Lächeln, als er sagte: „Ich würde alles geben, um jetzt Henry Reardens Gesicht sehen zu können.“ Als er hörte, dass das Gerücht nicht stimmte, sagte er: „Dem Himmel sei Dank!“
Aber in seiner Stimme schwang eine leichte Enttäuschung mit.
„Tja!“, sagte Philip Rearden zu seinen Freunden, als er dasselbe Gerücht vernahm. „Möglicherweise macht auch er manchmal Fehler. Möglicherweise ist mein großer Bruder nicht so groß, wie er denkt.“
„Liebling“, sagte Lillian Rearden zu ihrem Ehemann. „Gestern habe ich mich für dich eingesetzt, beim Tee, als die Frauen sagten, Dagny Taggart sei deine Mätresse. … Um Himmels willen, sieh mich doch nicht so an! Ich weiß, es ist lächerlich, und ich habe ihnen die Hölle heiß gemacht. Es ist bloß, dass diese dummen Schlampen sich keinen anderen Grund vorstellen können, warum eine Frau sonst wegen deines Metalls gegen alle anderen Position beziehen würde.
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