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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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aufsuchen?“
    „Ich versuche, Geld für die Freunde des globalen Fortschritts zu sammeln.“
    Es war Rearden nie gelungen, den Überblick über die vielen Organisationen, denen Philip angehörte, zu behalten, geschweige denn ein klares Bild von deren Tätigkeit zu bekommen. Von dieser hörte er Philip seit sechs Monaten diffus reden. Sie schien eine Art kostenloser Vorlesungen über Psychologie, Volksmusik und genossenschaftliche Landwirtschaft zu veranstalten. Rearden verachtete Gruppierungen dieser Art und legte keinen Wert auf Einzelheiten.
    Er schwieg. Unaufgefordert fuhr Philip fort: „Wir brauchen zehntausend Dollar für ein äußerst wichtiges Programm, aber es ist eine Sisyphusarbeit, Geldgeber zu suchen. Die Leute haben kein bisschen soziales Gewissen mehr. Wenn ich nur an die aufgeblasenen Geldsäcke denke, die ich heute getroffen habe – sie geben nach Lust und Laune Geld aus, aber ich konnte ihnen nicht einmal hundert Dollar aus dem Kreuz leiern; um mehr hatte ich sie schon gar nicht gebeten. Sie haben kein moralisches Verantwortungsbewusstsein, kein … Warum lachst du?“, fragte er unwirsch. Rearden stand grinsend vor ihm.
    Es war so kindlich unverfroren, dachte Rearden, so unbeholfen und plump, den Wink an ihn mit einer Beleidigung zu verknüpfen. Es wäre so leicht, Philip mit einer Retourkutsche abzukanzeln – einer zutreffenden und deshalb vernichtenden Retourkutsche –, dass er es nicht übers Herz brachte, sie ihm zu erteilen. Gewiss, dachte er, weiß der arme Narr, dass er sich mir ausgeliefert hat und nun angreifbar ist, also muss ich ihn nicht angreifen. Es nicht zu tun, ist die beste Entgegnung, und er wird sie verstehen. Wie elend muss es ihm gehen, wenn er sich selbst in eine solche Situation manövriert?
    Und dann kam Rearden plötzlich auf die Idee, dass er Philips chronisches Elend etwas lindern könnte, indem er ihm eine unerwartete Freude machte, ihm einen aussichtslosen Wunsch erfüllte. Was geht mich der Gegenstand seines Wunsches an?, dachte er. Es ist sein Wunsch, genauso wie Rearden-Metall meiner war. Er muss ihm genauso viel bedeuten, wie das Metall mir bedeutet hat. Ich will ihn einmal glücklich erleben, möglicherweise kann er daraus etwas lernen. Habe ich nicht selbst gesagt, Glück ermögliche eine Läuterung? Mir ist heute Abend nach Feiern zumute, also lasse ich ihn daran teilhaben. Ihm wird es so viel bedeuten, und mir tut es nicht weh.
    „Philip“, sagte er mit einem Lächeln, „ruf morgen Miss Ives in meinem Büro an. Sie wird dir einen Scheck in Höhe von zehntausend Dollar aushändigen.“
    Philip starrte ihn verständnislos an. Rearden sah weder Überraschung noch Freude, nur das leere Starren der glasigen Augen.
    „Oh“, sagte Philip und fügte dann hinzu: „Wir werden ihn dankbar annehmen.“ Seine Stimme verriet keinerlei Gefühl, nicht einmal schlichte Habgier.
    Rearden begriff nicht, was in ihm selbst vorging. Ihm war, als bräche etwas Bleiernes und Leeres in seinem Inneren zusammen. Er empfand zugleich das Gewicht und die Leere. Er wusste, es war Enttäuschung, aber er fragte sich, warum sie so grau und hässlich war.
    „Das ist sehr nett von dir, Henry“, sagte Philip trocken. „Ich staune. Das hätte ich von dir nicht erwartet.“
    „Begreifst du denn nicht, Phil?“, trällerte Lillian mit überdeutlicher Stimme. „Henry hat heute sein Metall gegossen.“ Sie wandte sich an Rearden. „Sollen wir den heutigen Tag zum Nationalfeiertag erklären, Liebling?“
    „Du bist ein guter Junge, Henry“, sagte seine Mutter und fügte hinzu: „Aber leider nur manchmal.“
    Rearden stand noch vor Philip und schaute ihn an, als wartete er auf etwas.
    Philip wandte sich ab, hob dann die Augen und hielt Reardens Blick stand, als musterte er ihn seinerseits.
    „Dir liegt nicht wirklich etwas daran, den Armen zu helfen, stimmt’s?“, fragte Philip – und Rearden konnte kaum fassen, dass seine Stimme vorwurfsvoll klang.
    „Du hast Recht, Phil, daran liegt mir nichts. Es ging mir nur darum, dir eine Freude zu machen.“
    „Aber das Geld ist doch nicht für mich. Ich sammle es nicht aus Eigeninteresse. Ich selbst habe überhaupt nichts davon“, sagte er in eisigem Ton und mit selbstgefälliger Tugendhaftigkeit.
    Rearden wandte sich ab. Eine plötzliche Abscheu befiel ihn, nicht weil Philip heuchelte, sondern weil er es ernst meinte, so, wie er es sagte.
    „Übrigens, Henry“, setzte Philip hinzu, „dürfte ich dich bitten, Miss Ives anzuweisen, mir

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