Der Streik
solches Geschick implizierte. Aber es schien notwendig zu sein. Also tat sie es mit dem Gedanken ab, dass es viele Tätigkeiten gab, die unangenehm, aber wichtig waren, wie die Reinigung von Abwasserkanälen. Einer musste es nun mal tun, und Jim schien es zu gefallen.
Sie hatte nie das Amt des Präsidenten angestrebt. Alles, was sie interessierte, war die Betriebsabteilung. Wenn sie hinaus auf die Strecke ging, sagten alte Eisenbahner, die Jim hassten: „Es wird immer einen Taggart geben, der die Eisenbahn leitet“, und sahen sie mit demselben Blick an wie ihr Vater. Gegen Jim war sie durch ihre Überzeugung gewappnet, dass er nicht klug genug war, um dem Unternehmen ernsthaft zu schaden, und dass sie immer in der Lage sein würde, jeden Fehler, den er beging, wieder zu korrigieren.
Als sie mit sechzehn an ihrem Schreibtisch saß und den beleuchteten Fenstern der vorbeifahrenden Taggart-Züge nachsah, hatte sie gedacht, sie sei nun in ihrer Welt. In den nachfolgenden Jahren wurde ihr klar, dass das nicht stimmte. Der Gegner, den sie sich gezwungen sah zu bekämpfen, war es nicht wert, sich mit ihm zu messen oder ihn zu besiegen. Er war keine höhere Herausforderung, der sie sich mit Freude gestellt hätte, sondern ihr Feind war die Inkompetenz, die sich wie eine graue, weiche und formlose Decke ausbreitete und nichts und niemandem Widerstand leisten konnte. Und dennoch stellte sie für Dagny ein Hindernis dar. Hilflos stand sie vor der Frage, wie dies nur möglich war. Sie konnte keine Antwort darauf finden.
Nur in den ersten Jahren geschah es manchmal, dass sie innerlich danach schrie, menschliches Talent zu erblicken, nur einen einzigen Blick auf reine, starke, strahlende Kompetenz werfen zu können. Manchmal erfasste sie anfallartig die Sehnsucht nach einem Freund oder einem Feind, dessen Verstand ihren eigenen übertraf. Aber die Sehnsucht verging. Sie hatte eine Aufgabe zu erledigen. Da blieb keine Zeit für schmerzliche Emotionen, zumindest nicht oft.
Der erste Schritt in der Unternehmenspolitik, die James Taggart mitbrachte, war der Bau der San-Sebastián-Trasse. Viele Männer waren dafür verantwortlich, aber für Dagny gab es nur einen Namen, der in großen Lettern über diesem Projekt prangte, ein Name, der für sie alle anderen in den Hintergrund drängte, sobald er irgendwo auftauchte. Der Name stand für fünf Jahre des Kampfes, für meilenweise verschwendete Schienen, für Bilanzzahlen, die die Verluste von Taggart Transcontinental belegten – wie ein stetiges rotes Tropfen aus einer Wunde, die nicht verheilen will. Sein Name stand auf den Papierstreifen aller Börsenfernschreiber, die in der Welt noch übrig waren, er stand auf Schornsteinen, die im roten Glanz der Kupferschmelzöfen leuchteten, er stand in den Schlagzeilen der Skandalpresse, er stand auf Pergamentrollen, die die Stammbäume von Aristokraten über Jahrhunderte belegten, er stand auf kleinen Kärtchen an Blumengrüßen in den Boudoirs von Damen auf drei Kontinenten.
Der Name lautete Francisco d’Anconia.
Im Alter von dreiundzwanzig Jahren, als er sein Vermögen erbte, kannte man Francisco d’Anconia als den Kupferkönig der Welt. Heute, mit sechsunddreißig, war er berühmt dafür, dass er der reichste Mann und der mit Abstand nutzloseste Playboy auf Erden war. Er war der letzte Nachkomme einer der vornehmsten Familien Argentiniens. Er besaß Rinderfarmen, Kaffeeplantagen und den Großteil der chilenischen Kupferbergwerke. Ihm gehörte halb Südamerika, und als Draufgabe besaß er noch eine Handvoll Gruben in den Vereinigten Staaten.
Als Francisco d’Anconia plötzlich ein großes Gebiet kargen Berglandes in Mexiko kaufte, sickerte durch, dass er dort riesige Kupfervorkommen entdeckt hatte. Er bemühte sich nicht, Anteile an dem Unternehmen zu verkaufen, sie wurden ihm regelrecht aus der Hand gerissen, er musste lediglich aus den vielen Anwärtern jene auswählen, die er bevorzugte. Sein Finanztalent war legendär, niemand hatte ihm je mit einer Transaktion das Wasser reichen können – sein Vermögen wuchs und wuchs mit jedem Geschäft, das er abschloss, und jedem Schritt, den er machte, wenn er Lust dazu hatte. Seine größten Kritiker waren die ersten, die auf den Zug aufsprangen, um von seinem Talent zu profitieren und an seinem neuen Reichtum teilzuhaben. James Taggart, Orren Boyle und ihre Freunde zählten zu den größten Aktionären des Projekts, das Francisco d’Anconia die „San-Sebastián-Minen“ getauft
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