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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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dem einzigen Fach, das sie mochte. Sie genoss den Reiz des Problemlösens, das maßlose Vergnügen, eine Herausforderung anzunehmen und mühelos zu meistern, den Ehrgeiz, sich immer wieder, immer strenger zu prüfen. Gleichzeitig wuchs in ihr der Respekt vor ihrem Herausforderer, vor dieser Wissenschaft, die so rein, so streng und so klar rational war. Wenn sie sich mit Mathematik beschäftigte, dachte sie: „Wie großartig, dass die Menschheit so etwas geschaffen hat“, und gleichzeitig: „Wie schön, dass ich so gut darin bin“. Die Bewunderung für die Sache und die Freude an der eigenen Begabung wuchsen zusammen. Für die Eisenbahn empfand sie dasselbe: Hochachtung vor dem Können, das sie geschaffen hatte, vor der Genialität eines klaren, logisch denkenden Verstandes; Hochachtung, die mit einem geheimen Lächeln verbunden war, denn eines Tages würde sie wissen, wie man es noch besser machen konnte. Sie trieb sich wie ein einfacher Lehrling an den Schienen und in den Lokschuppen herum, aber in ihrer Demut schwang bereits eine Spur des zukünftigen Stolzes mit, den sie sich erst verdienen musste.
    „Du bist fürchterlich eingebildet“, war einer der beiden Sätze, die sie als Kind am häufigsten zu hören bekam, obwohl sie nie mit ihrer Begabung prahlte. Der andere Satz war: „Du bist selbstsüchtig.“ Sie fragte, was das bedeutete, bekam aber nie eine Antwort. Sie sah die Erwachsenen an und fragte sich, wie sie annehmen konnten, dass ein so vager Vorwurf Schuldgefühle bei ihr hervorrufen würde.
    Sie war zwölf, als sie Eddie Willers mitteilte, dass sie, wenn sie erwachsen war, die Eisenbahngesellschaft leiten würde. Mit fünfzehn kam es ihr erstmals in den Sinn, dass Frauen eigentlich keine Eisenbahnunternehmen leiteten und dass jemand etwas dagegen haben könnte. Zum Teufel damit, dachte sie – und begrub diesen Gedanken für immer.
    Sie begann für Taggart Transcontinental zu arbeiten, als sie sechzehn war. Ihr Vater erlaubte es ihr: Es bereitete ihm Vergnügen, und er war ein wenig neugierig. Anfangs übernahm sie den Nachtdienst auf einem kleinen Bahnhof auf dem Land. In den ersten Jahren musste sie nachts arbeiten, weil sie tags an einem Technik-College studierte.
    James Taggart begann etwa zur gleichen Zeit seine Karriere bei der Eisenbahn; er war einundzwanzig und stieg in der Werbeabteilung ein.
    Dagnys Aufstieg unter all den Männern, die Taggart Transcontinental führten, ging schnell und ohne Widerstand vonstatten. Sie übernahm verantwortungsvolle Positionen, weil es niemand anderen gab, der sie übernehmen wollte. Um sie herum gab es einige wenige Männer mit Begabung, ihre Zahl verringerte sich jedoch von Jahr zu Jahr. Ihre Vorgesetzten, die Weisungsgewalt hatten, schienen sich davor zu fürchten, sie auch auszuüben, und verbrachten ihre Zeit damit, Entscheidungen zu umgehen. Deshalb bestimmte sie, was zu tun sei, und die Leute taten es. Auf jeder Stufe ihrer Karriere hatte sie schon lange gearbeitet, bevor ihr der Rang offiziell zuerkannt wurde. Es war, als arbeitete sie sich durch leere Räume vorwärts. Niemand stellte sich ihr in den Weg, aber auch niemand befürwortete ihren Aufstieg.
    Ihr Vater schien überrascht und stolz auf sie zu sein, aber er sagte kein Wort und blickte sie nur mit einer gewissen Traurigkeit an, wenn er sie in ihrem Büro arbeiten sah. Sie war neunundzwanzig Jahre alt, als er starb. „Die Eisenbahn wurde immer von einem Mitglied der Familie Taggart geleitet“, war das Letzte, was er zu ihr sagte. Er hatte sie mit einem seltsamen Blick angesehen, der Anerkennung und Mitleid zugleich ausdrückte.
    Die Aktienmehrheit an Taggart Transcontinental ging an James Taggart. Er war vierunddreißig, als er Präsident des Unternehmens wurde. Dagny hatte mit seiner Wahl durch den Verwaltungsrat gerechnet, aber sie hatte nie nachvollziehen können, warum sie ihn mit solcher Begeisterung wählten. Sie sprachen von Tradition, denn immer war der älteste Sohn der Taggarts der Präsident gewesen. Sie wählten James Taggart mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der sie sich weigern würden, unter einer Leiter hindurchzugehen, aus demselben Aberglauben. Sie lobten seine Gabe, „die Eisenbahn populär zu machen“, seine „gute Presse“, sein „Geschick in Washington“. Er schien sich ungewöhnlich gut darauf zu verstehen, für Begünstigungen durch die Regierung zu sorgen.
    Dagny wusste nicht, was es mit dem „Geschick in Washington“ auf sich hatte und was ein

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