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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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gingen die ersten Lichter an. Die Wolkenkratzer glichen verlassenen Leuchttürmen, die schwache, ersterbende Signale hinaus auf ein Meer warfen, auf dem keine Schiffe mehr verkehrten. Einzelne Schneeflocken fielen vor den dunklen Schaufenstern leerer Geschäfte herab und schmolzen im Schmutz des Bürgersteiges. Eine Reihe roter Laternen säumte die Straße, die sich in der Ferne im Trüben verlief.
    Sie fragte sich, warum sie das Bedürfnis verspürte zu laufen, warum sie das Gefühl hatte, dass sie laufen sollte. Nein, nicht diese Straße hinunter, einen grünen Hügel hinunter, im strahlenden Sonnenschein auf die Straße am Ufer des Hudson zu, am Fuße des Taggart-Anwesens. So war sie immer gelaufen, wenn Eddie „Es ist Frisco d’Anconia!“ gerufen hatte und sie beide den Hügel hinabgestürmt waren, dem Wagen entgegen, der sich auf der Straße unten näherte.
    Er war der einzige Besucher gewesen, dessen Ankunft in ihrer Kindheit ein Ereignis war; ihr allerwichtigstes Ereignis. Ihm entgegenzulaufen, hatte sich zwischen ihnen Dreien zu einer Art Wettbewerb entwickelt. Auf dem Hügel stand eine Birke, auf halber Strecke zwischen der Straße und dem Haus. Dagny und Eddie versuchten, den Baum zu erreichen, bevor Francisco den Hügel zu ihnen hinauflaufen konnte. All die Male, die er in den vielen Sommern bei ihnen ankam, schafften sie es nie bis zum Baum. Francisco war immer zuerst da und hielt sie auf, wenn er schon lange daran vorbeigelaufen war. Francisco gewann immer, wie er auch sonst immer alles gewann.
    Seine Eltern waren alte Freunde der Familie Taggart. Er war ein Einzelkind und wuchs überall auf der Welt auf. Sein Vater, so hieß es, wollte, dass er die ganze Erde als sein zukünftiges Reich betrachtete. Dagny und Eddie wussten nie genau, wo er seinen Winter verbrachte, aber einmal im Jahr, jeden Sommer, brachte ihn ein strenger südamerikanischer Hauslehrer für einen Monat auf das Anwesen der Taggarts.
    Francisco sah es als selbstverständlich an, dass die Taggart-Kinder als seine Freunde ausgewählt worden waren: Sie waren die Thronfolger von Taggart Transcontinental wie er von D’Anconia Copper. „Wir sind die einzige Aristokratie, die in der Welt noch übrig ist – die Aristokratie des Geldes“, hatte er einmal zu Dagny gesagt, als er vierzehn war. „Es wäre die einzig wahre Aristokratie, wenn die Menschen verstünden, was das bedeutet, aber das tun sie nicht.“
    Er hatte sich sein eigenes Kastensystem geschaffen. Für ihn waren die Taggart-Kinder nicht Jim und Dagny, sondern Dagny und Eddie. Er war selten bereit, Jims Existenz zur Kenntnis zu nehmen. Einmal fragte ihn Eddie: „Francisco, du bist doch so eine Art ganz hoher Adel, oder?“ Er entgegnete: „Noch nicht. Der Grund, warum meine Familie sich so lange Zeit gehalten hat, ist, dass niemandem von uns je erlaubt wurde zu glauben, dass er als ein d’Anconia geboren wurde. Es wird von uns erwartet, zu einem zu werden.“ Er sprach seinen Namen aus, als sollten seine Zuhörer allein durch dessen Klang vor Ehrfurcht erstarren.
    Sebastián d’Anconia, sein Vorfahr, hatte Spanien vor vielen Jahrhunderten verlassen, zu einer Zeit, als Spanien das mächtigste Land der Welt war und er einer seiner stolzesten Vertreter. Er ging fort, weil der Großinquisitor seine Ansichten nicht billigte und ihn bei einem Hofbankett ersuchte, sie zu ändern. Sebastián d’Anconia schüttete dem Großinquisitor den Inhalt seines Weinglases ins Gesicht und entkam, bevor man ihn fassen konnte. Er ließ sein Vermögen, sein Gut, seinen marmornen Palast und das Mädchen, das er liebte, zurück – und fuhr mit einem Segelschiff in eine neue Welt.
    Sein erster Besitz in Argentinien war eine hölzerne Hütte in den Hügeln, die den Anden vorgelagert waren. Die Sonne spiegelte sich wie ein Leuchtfeuer in dem über dem Eingang der Hütte angenagelten silbernen Wappen der d’Anconias, während Sebastián d’Anconia nach dem Kupfer seiner ersten Mine grub. Er verbrachte Jahre mit dem Pickel in der Hand, um von Sonnenaufgang bis zum Einbruch der Dunkelheit Steine zu zerschlagen, nur mit der Hilfe von einigen Vagabunden: Deserteuren der Armee seiner Landsleute, entkommenen Häftlingen, hungernden Indianern.
    Fünfzehn Jahre, nachdem er Spanien verlassen hatte, ließ Sebastián d’Anconia das Mädchen, das er liebte, zu sich kommen. Sie hatte auf ihn gewartet. Als sie ankam, befand sich das silberne Familienwappen über dem Eingang eines marmornen Palastes, zu dem

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