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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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einem Seitengleis warteten. Darüber zerschnitt die Brücke eines Hängekrans den Himmel. Der Kran bewegte sich. Sein riesiger Magnet hielt ein Bündel Schienen durch die Kraft des bloßen Kontakts an einer Scheibe fest. Keine Spur von Sonne war in der grauen Wolkendecke zu erkennen, doch die Schienen glitzerten, als finge das Metall Licht aus dem Weltall ein. Das Metall war grünlich blau. Die schwere Kette machte oberhalb eines Waggons halt, senkte sich herab, machte eine ruckartige Bewegung und lud die Schienen ab. Der Kran bewegte sich mit majestätischer Gleichgültigkeit wieder zurück. Es sah aus, als bewegte sich die riesenhafte Zeichnung eines geometrischen Lehrsatzes über den Menschen und der Erde.
    Sie standen am Fenster und sahen zu, still und aufmerksam. Sie sagte kein Wort, bis die nächste Ladung grünlich blauen Metalls sich durch die Luft heranbewegte. Die ersten Worte, die sie sprach, betrafen nicht die Schienen, die Trasse oder eine zeitgerechte Lieferung. Als wollte sie ein unbekanntes Naturphänomen willkommen heißen, sagte sie nur: „Rearden-Metall …“
    Er hörte es, sagte aber nichts. Er sah sie an und wandte sich dann wieder zum Fenster.
    „Hank, das ist großartig.“
    „Ja.“
    Er sagte es schlicht und offen. In seiner Stimme lag weder Genugtuung über das Kompliment noch Bescheidenheit. Damit zollte er ihr Anerkennung, das wusste sie, die seltenste Anerkennung, die Menschen einander schenken konnten: freimütig seine eigene Größe anzuerkennen in dem Wissen, dass sie verstanden wird.
    Sie sagte: „Wenn ich nur daran denke, was dieses Metall alles kann, was es ermöglichen wird … Hank, das hier ist das wichtigste Ereignis, das heute auf dieser Welt geschieht, und niemand weiß es.“
    „Wir wissen es.“
    Sie sahen einander nicht an. Sie beobachteten den Kran. Auf der Vorderseite der Lokomotive in der Ferne konnte sie die Buchstaben TT erkennen. Sie konnte die Schienen des meistbefahrenen Industrie-Gleisanschlusses im Taggart-Schienennetz erkennen.
    „Sobald ich ein Werk gefunden habe, das sie herstellen kann, werde ich Dieselloks aus Rearden-Metall bestellen“, sagte sie.
    „Sie werden sie brauchen. Wie schnell fahren Ihre Züge auf der Rio-Norte-Trasse?“
    „Zurzeit? Wir sind froh, wenn wir zwanzig Meilen pro Stunde schaffen.“
    Er deutete auf die Waggons. „Sobald diese Schienen verlegt sind, werden Sie in der Lage sein, mit zweihundertfünfzig zu fahren, wenn Sie wollen.“
    „Das werde ich, in ein paar Jahren, wenn wir Waggons aus Rearden-Metall haben, die halb so viel wiegen wie Stahlwaggons und doppelt so sicher sind.“
    „Nehmen Sie sich in Acht vor den Fluglinien. Wir arbeiten gerade an einem Flugzeug aus Rearden-Metall. Es hat praktisch kaum Gewicht und kann alles tragen. Sie werden noch den Tag erleben, an dem schwere Fracht auf Langstrecken mit Flugzeugen befördert wird.“
    „Ich habe darüber nachgedacht, was dieses Metall bei Motoren ausrichten kann und was damit jetzt alles entwickelt werden kann.“
    „Haben Sie auch daran gedacht, welche Auswirkungen es auf Maschendraht haben wird? Ganz einfachen Maschendraht, hergestellt aus Rearden-Metall, der nur ein paar Cent pro Meile kostet und zweihundert Jahre lang hält. Und Kochgeschirr, das im Zehn-centladen gekauft und von Generation zu Generation weitergegeben wird. Und Ozeandampfer, denen ein Torpedo nicht einmal eine Beule verpassen kann.
    Habe ich Ihnen schon erzählt, dass ich Rearden-Metall gerade auf seine Eignung als Fernmeldedraht testen lasse?
    Ich mache so viele Tests, dass ich nie damit fertig werde, den Leuten zu zeigen, was man mit Rearden-Metall alles machen kann, und wie.“
    Sie sprachen über das Metall und die Möglichkeiten, die für sie unerschöpflich waren. Es war, als stünden sie auf einem Berggipfel und überblickten im Tal eine endlose Ebene, auf der Straßen in alle Himmelsrichtungen führten. Aber sie sprachen nur über Zahlen, über Gewichte, Drücke, Widerstände und Kosten.
    Sie hatte ihren Bruder und seine Eisenbahnvereinigung vergessen. Sie hatte jedes Problem, jede Person und alle Ereignisse vergessen, die hinter ihr lagen. Sie waren in ihren Augen immer etwas verschwommen gewesen; Dinge, an denen man vorbeieilte, die man zur Seite drängte. Sie waren nicht endgültig, nie wirklich real. Das hier war die Realität, dachte sie, dieses Gefühl von klaren Linien, von Zweck, Leichtigkeit und Hoffnung. So hatte sie immer zu leben erwartet – sie wollte niemals auch nur

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