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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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hingegen jedes Recht auf das Leben anderer.
    Seid ihr erfolgreich, dann ist jeder Gescheiterte euer Herr; scheitert ihr, dann ist jeder Erfolgreiche euer Leibeigener. Ob euer Scheitern berechtigt ist oder nicht, ob eure Wünsche rational sind oder nicht, ob euer Unglück unverdient oder die Folge eurer Laster ist, das Unglück verschafft euch ein Recht auf Lohn. Es ist Schmerz , unabhängig von seiner Art oder Ursache, Schmerz als oberstes Absolutes, der euch ein Pfandrecht auf jede Existenz einräumt.
    Stillt ihr euren Schmerz aus eigener Kraft, ist das eurem Kodex zufolge kein moralisches Verdienst, sondern eine schändliche, selbstsüchtige Tat. Welchen Wert ihr auch immer anstrebt, seien es Wohlstand, Nahrung, Liebe oder Rechte, wenn ihr ihn dank eurer Tugenden erwerbt, dann ist es eurem Kodex zufolge eine unmoralische Errungenschaft: Ihr habt niemandem einen Verlust zugefügt, es ist ein Handel, kein Almosen; eine Zahlung, kein Opfer. Alles Wohlverdiente gehört in den selbstsüchtigen, kommerziellen Bereich gegenseitigen Gewinns; nur das Unverdiente verlangt moralische Transaktionen, die dem einen Gewinn einbringen und den anderen ins Verderben stürzen. Einen Lohn für eure Tugenden zu verlangen, ist selbstsüchtig und unmoralisch; nur ein Mangel an Tugenden verwandelt euer Verlangen in ein moralisches Recht.
    Eine Moral, die Bedürfnis für einen Anspruch hält, betrachtet Leere und Nichtexistenz als ihren Wertmaßstab; sie belohnt ein Nichtvorhandensein, einen Defekt: Schwäche, Unfähigkeit, Inkompetenz, Leiden, Krankheit, Unheil, den Mangel, den Fehler, den Makel – die Null .
    Wer sorgt für das Guthaben, mit dem diese Ansprüche befriedigt werden? Diejenigen, die dafür verflucht werden, dass sie keine Nullen sind, jeder nach dem Ausmaß seiner Entfernung von diesem Ideal. Da jeder Wert das Ergebnis von Tugenden ist, bemisst sich eure Strafe am Grad eurer Tugendhaftigkeit; euer Gewinn bemisst sich an der Schwere eurer Fehler. Eurem Kodex zufolge hat sich der Rationale den Irrationalen zu opfern, der Unabhängige Parasiten, der Ehrliche den Unehrlichen, der Gerechte den Ungerechten, der Produktive diebischen Faulenzern, der Integre lavierenden Schurken, der Mensch mit Selbstachtung wehleidigen Neurotikern. Wundert ihr euch über die seelische Armseligkeit derer, die euch umgeben? Der Mensch, der diese Tugenden erwirbt, wird euren Moralkodex nicht akzeptieren; der Mensch, der euren Moralkodex akzeptiert, wird diese Tugenden nicht erwerben.
    Das erste Opfer einer Opfermoral ist die Moral selbst, das zweite ist die Selbstachtung. Wenn Bedürfnisse der Maßstab sind, ist jeder Mensch Opfer und Parasit zugleich. Als Opfer muss er arbeiten, um die Bedürfnisse anderer zu decken, und wird selbst zum Parasiten, dessen Bedürfnisse von anderen gedeckt werden müssen. Er kann sich seinen Mitmenschen nicht anders als in einer dieser beiden beschämenden Rollen begegnen: als Bettler oder als Betrogener.
    Ihr fürchtet den, der einen Dollar weniger hat als ihr, denn jener Dollar steht rechtmäßig ihm zu, ihr fühlt euch seinetwegen wie moralische Betrüger. Ihr hasst den, der einen Dollar mehr hat als ihr, denn jener Dollar steht rechtmäßig euch zu, und ihr fühlt euch seinetwegen moralisch betrogen. Wer unter euch steht, ruft in euch Schuldgefühle hervor, und wer über euch steht, ruft in euch Frustration hervor. Ihr wisst nicht, was ihr abtreten und was ihr verlangen sollt, wann ihr geben und wann ihr kassieren sollt, welche Vergnügen euch rechtmäßig zustehen und was ihr anderen noch schuldet; ihr bemüht euch, zumindest theoretisch zu verdrängen, dass ihr nach der von euch akzeptierten Moral in jedem Augenblick eures Lebens schuldig seid, dass ihr keinen Brocken essen könnt, den nicht ein anderer irgendwo auf der Erde benötigt , und ihr gebt es in blindem Groll auf, das Problem zu lösen; ihr schlussfolgert, dass moralische Vollkommenheit weder erreichbar noch anzustreben ist, dass ihr euch durchmogeln werdet, indem ihr nehmt, was ihr kriegen könnt, und den Blicken der jungen Generation ausweicht, den Blicken derer, die euch anschauen, als wäre Selbstachtung möglich und als erwarteten sie sie von euch. In eurer Seele bleibt nichts als Schuld zurück – und ebenso ergeht es jedem anderen, der im Vorbeigehen euren Blick meidet. Fragt ihr euch, weshalb eure Moral nicht zu Brüderlichkeit auf Erden oder zu gutem Willen zwischen den Menschen geführt hat?
    Die Rechtfertigung des Opfers, die eure Moral

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