Der Streik
noch ihre Wünsche und Bedürfnisse hinterfragen: Ihr Anspruch erwächst aus einer Negation, nämlich aus der Tatsache, dass sie ‚nicht du‘ sind.
Für diejenigen unter euch, die womöglich Fragen stellen, hält euer Kodex einen Trostpreis und eine Sprengfalle bereit: Es dient eurem Glück, sagt er, dem Glück anderer zu dienen; ihr könntet Freude nur erlangen, indem ihr sie für andere aufgebt; ihr könnt Wohlstand nur erlangen, indem ihr euren Reichtum anderen gebt; ihr könnt euer Leben nur schützen, indem ihr alle anderen außer euch selbst beschützt – und wenn ihr an dieser Prozedur keine Freude habt, seid ihr selbst schuld und beweist damit, dass ihr böse seid; wärt ihr gut, würdet ihr euer Glück darin finden, anderen ein Festmahl zu bereiten, und ihr würdet eure Würde darin finden, von den Brosamen zu leben, die sie euch vielleicht zuwerfen.
Ihr, die ihr keinen Maßstab für Selbstachtung habt, nehmt die Schuld auf euch und wagt es nicht, Fragen zu stellen. Doch ihr kennt die unausgesprochene Antwort, auch wenn ihr euch weigert anzuerkennen, was ihr seht und welche heimliche Prämisse eure Welt antreibt. Ihr kennt sie, zwar nicht in aller Aufrichtigkeit und Offenheit, aber als ein dunkles inneres Unbehagen, das ihr spürt, wenn ihr ein Prinzip, das zu verwerflich ist, um es auszusprechen, mit schlechtem Gewissen missachtet oder murrend befolgt.
Ich, der ich weder unverdiente Werte noch unverdiente Schuld akzeptiere, bin hier, um die Fragen zu stellen, denen ihr ausgewichen seid. Weshalb ist es moralisch, dem Glück anderer zu dienen, nicht aber eurem eigenen? Wenn Vergnügen ein Wert ist, weshalb ist das Vergnügen anderer moralisch, eures aber unmoralisch? Wenn das Essen eines Kuchens ein Wert ist, weshalb gilt es als unmoralische Völlerei, ihn selbst zu verzehren, aber als moralisch erstrebenswert, den Magen anderer damit zu füllen? Weshalb sind eure eigenen Begierden unmoralisch, diejenigen anderer aber moralisch? Weshalb ist es unmoralisch, einen Wert zu produzieren und ihn zu behalten, aber moralisch, ihn zu verschenken? Und wenn es unmoralisch ist, einen Wert zu behalten, weshalb ist es dann moralisch, wenn andere ihn annehmen? Wenn ihr selbstlos und tugendhaft seid, wenn ihr ihn verschenkt, sind dann die anderen nicht selbstsüchtig und lasterhaft, wenn sie ihn annehmen? Besteht Tugendhaftigkeit darin, Laster zu unterstützen? Besteht der moralische Zweck der Guten darin, sich zugunsten der Bösen aufzuopfern?
Die ungeheuerliche Antwort, der ihr ausweicht, lautet: Nein, die Empfangenden sind nicht böse, vorausgesetzt, sie haben den empfangenen Wert nicht verdient . Es ist ihrerseits nicht unmoralisch, ihn anzunehmen, vorausgesetzt, sie sind nicht in der Lage, ihn selbst zu produzieren, ihn zu verdienen oder irgendeine Gegenleistung dafür zu erbringen. Es ist ihrerseits nicht unmoralisch, den Wert zu genießen, vorausgesetzt, sie erwerben ihn nicht rechtmäßig .
Das ist der verborgene Kern eures Glaubens, die Kehrseite eurer Doppelmoral: Es ist unmoralisch, vom Ertrag eurer eigenen Bemühungen zu leben, aber moralisch, vom Ertrag der Bemühungen anderer zu leben; es ist unmoralisch, eure eigenen Produkte zu verzehren, aber moralisch, die Produkte anderer zu verzehren; es ist unmoralisch zu verdienen, aber moralisch zu schmarotzen; die Parasiten sind die moralische Rechtfertigung der Existenz der Produzenten, aber die Existenz der Parasiten ist durch sich selbst gerechtfertigt; es ist böse, von Leistung zu profitieren, aber gut, von Opfern zu profitieren; es ist böse, euer eigenes Glück zu schmieden, aber gut, euer Glück mit dem Blut anderer zu erkaufen.
Euer Kodex teilt die Menschheit in zwei Kasten und erlässt für sie gegenläufige Gesetze: diejenigen, die alles begehren dürfen, und diejenigen, die nichts begehren dürfen, die Auserwählten und die Verdammten, die Getragenen und die Träger, die, die fressen, und diejenigen, die gefressen werden. Nach welchem Maßstab entscheidet sich eure Kastenzugehörigkeit? Was ist der Schlüssel zur Aufnahme in die moralischen Elite? Der Schlüssel ist ein Mangel an Wert .
Ganz gleich, um welchen Wert es sich handeln mag, euer Mangel daran begründet euren Anspruch gegen diejenigen, denen es nicht daran mangelt. Euer Bedürfnis begründet euren Anspruch auf Lohn. Seid ihr fähig, eure Bedürfnisse zu decken, dann hebt diese Fähigkeit euer Recht, sie zu befriedigen, auf. Ein Bedürfnis, das ihr nicht decken könnt, verschafft euch
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