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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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ist kein Befehl!“
    Galt rührte sich nicht und griff nicht nach den Blättern.
    „Das sind ganz gewöhnliche, einfache Menschen, Mr. Galt“, sagte Chick Morrison in einem Tonfall, der ihre unterwürfige Demut spiegeln sollte. „Sie können Ihnen nicht sagen, was Sie tun sollen. Sie haben keine Ahnung. Sie flehen Sie einfach an. Sie mögen schwach sein, hilflos, blind und unwissend. Aber Sie, der Sie so intelligent und stark sind, können Sie sich ihrer nicht erbarmen? Können Sie ihnen nicht helfen?“
    „Indem ich meine Intelligenz fahren lasse und ihrer Blindheit folge?“
    „Sie mögen im Unrecht sein, aber sie wissen es nicht besser!“
    „Und ich, der ich es besser weiß, soll ihnen gehorchen?“
    „Ich kann nicht mit Ihnen streiten, Mr. Galt. Ich bitte Sie einfach um Mitleid. Sie leiden. Ich bitte Sie um Mitleid mit den Leidenden. Ich bin … Mr. Galt“, fragte er, als er bemerkte, dass Galts Blick in die Ferne jenseits des Fensters ging und seine Augen plötzlich unversöhnlich wirkten, „was ist los? Woran denken Sie?“
    „An Hank Rearden.“
    „Aha … wieso?“
    „Hatten sie Mitleid mit Hank Rearden?“
    „Ach, aber das ist doch etwas anderes! Er …“
    „Halten Sie den Mund“, sagte Galt ruhig.
    „Ich wollte nur …“
    „Halten Sie den Mund!“, fuhr Mr. Thompson ihn an. „Schenken Sie ihm keine Beachtung, Mr. Galt. Er hat seit zwei Nächten nicht geschlafen. Er ist vor Angst wie von Sinnen.“
    Dr. Floyd Ferris hatte am nächsten Tag offenbar keine Angst – aber das war noch schlimmer, dachte Mr. Thompson. Er beobachtete, dass Galt schwieg und überhaupt nicht auf Ferris reagierte.
    „Möglicherweise haben Sie das Problem der moralischen Verantwortung noch nicht hinreichend bedacht, Mr. Galt.“ Dr. Ferris sprach betont ungezwungen und salopp. „Mir scheint, Sie haben im Radio ausschließlich über Begehungssünden gesprochen. Doch es gibt auch Unterlassungssünden, die ebenso zu bedenken sind. Ein Leben nicht zu retten, ist ebenso unmoralisch wie Mord. Die Folgen sind dieselben – und da Taten nach ihren Folgen zu beurteilen sind, ist auch die moralische Verantwortung dieselbe. … Angesichts der akuten Nahrungsmittelknappheit ist beispielsweise vorgebracht worden, dass es vielleicht nötig sein wird, eine Richtlinie zu erlassen, die den Tod eines jeden dritten Kindes unter zehn und eines jeden Erwachsenen im Alter von über sechzig Jahren anordnet, um das Überleben aller übrigen Menschen zu sichern. Das wollen Sie doch nicht, oder? Sie können es verhindern. Ein einziges Wort von Ihnen würde es verhindern. Wenn Sie sich weigern und diese Menschen hingerichtet werden – wird das Ihre Schuld und Ihre moralische Verantwortung sein!“
    „Sie sind ja wahnsinnig!“, schrie Mr. Thompson, nachdem er sich von seinem Schock erholt hatte, und sprang auf. „Niemand hat etwas Derartiges vorgebracht! Niemand hat so etwas je in Erwägung gezogen! Bitte, Mr. Galt! Glauben Sie ihm nicht! Das ist nicht sein Ernst!“
    „Oh doch, das ist es“, sagte Galt. „Sagen Sie dem Mistkerl, er soll mich anschauen, dann einen Blick in den Spiegel werfen und sich fragen, ob ich jemals denken könnte, dass meine moralische Größe von seinen Taten abhinge.“
    „Raus hier!“, brüllte Mr. Thompson, indem er Ferris packte und hochzog. „Raus! Ich will keinen Laut mehr von Ihnen hören!“ Er riss die Tür auf und stieß Ferris einem bestürzt dreinblickenden Wachmann entgegen, der draußen postiert war.
    Dann wandte er sich an Galt, breitete die Arme aus und ließ sie in einer Geste erschöpfter Hilflosigkeit fallen. Galts Gesicht war ausdruckslos.
    „Hören Sie“, sagte Mr. Thompson flehend, „gibt es denn niemanden, der mit Ihnen reden kann?“
    „Es gibt nichts zu bereden.“
    „Wir müssen reden. Wir müssen Sie überzeugen. Gibt es jemanden, mit dem Sie gerne reden würden?“
    „Nein.“
    „Ich dachte vielleicht … weil sie so spricht – oder vielmehr so gesprochen hat – wie Sie, manchmal … vielleicht sollte ich Miss Dagny Taggart herschicken, damit sie Ihnen sagt …“
    „Die? Allerdings, sie hat einmal so gesprochen wie ich. Sie ist mein einziger Irrtum. Ich hatte gedacht, sie stünde auf meiner Seite. Aber sie hat mich hintergangen, um ihre Eisenbahn zu behalten. Sie würde ihre Seele für ihre Eisenbahn verkaufen. Schicken Sie sie ruhig her, wenn Sie möchten, dass ich ihr eine Ohrfeige verpasse.“
    „Nein, nein, nein! Sie müssen sie nicht sehen, wenn Sie so denken.

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