Der Streik
„Aber wenn wir gar keine guten Gedanken in uns haben, wie können wir dann wissen, dass die, die wir haben, hässlich sind? Ich meine, was ist der Maßstab?“
„Es gibt keine Maßstäbe.“
Damit brachte er seine Zuhörer zum Schweigen.
„Die Philosophen der Vergangenheit waren oberflächlich“, fuhr Dr. Pritchett fort. „Erst in unserem Jahrhundert wurde der Zweck der Philosophie neu definiert. Der Zweck der Philosophie ist nicht, den Menschen zu helfen, den Sinn des Lebens zu finden, sondern ihnen zu beweisen, dass es keinen gibt.“
Eine attraktive junge Frau, deren Vater ein Kohlebergwerk besaß, fragte ungehalten: „Und wer sagt das?“
„Ich versuche es“, sagte Dr. Pritchett. Seit drei Jahren war er Leiter der Philosophischen Abteilung an der Patrick-Henry-Universität.
Lillian Rearden kam heran, ihre Juwelen glitzerten im Licht. Ihr Gesichtsausdruck zeigte die Andeutung eines leisen Lächelns, das ebenso unecht war wie die Wellen in ihrem Haar.
„Dieses Beharren des Menschen auf einem Sinn macht ihn so schwierig“, sagte Dr. Pritchett. „Sobald er erkennt, dass er im unendlichen Weltenplan völlig unbedeutend ist, dass seinen Handlungen keinerlei Bedeutung beigemessen werden kann, dass es gleichgültig ist, ob er lebt oder stirbt, wird er sehr viel … fügsamer.“
Er zuckte mit den Schultern und griff nach einem weiteren Kanapee. Ein Geschäftsmann sagte beunruhigt: „Was ich Sie gefragt hatte, Professor, war, was Sie von diesem Chancengleichheitsgesetz halten.“
„Ach das“, sagte Dr. Pritchett. „Ich habe, glaube ich, klar zum Ausdruck gebracht, dass ich es befürworte, weil ich ein Befürworter der freien Wirtschaft bin. Eine freie Wirtschaft kann ohne Wettbewerb nicht existieren. Daher müssen die Menschen dazu gezwungen werden, miteinander in Wettbewerb zu treten. Daher müssen wir die Menschen lenken, um sie zu zwingen, frei zu sein.“
„Aber … ist das nicht irgendwie ein Widerspruch?“
„Nicht im höheren philosophischen Sinn. Sie müssen lernen, über die statischen Definitionen altmodischen Denkens hinauszublicken. Nichts in der Welt ist statisch. Alles ist fließend.“
„Aber es ist vernünftig, dass …“
„Vernunft, mein lieber Freund, ist der naivste aller Aberglauben. Das hat unser Zeitalter endlich begriffen.“
„Aber ich verstehe nicht so recht, wie wir …“
„Sie erliegen dem verbreiteten Irrtum zu glauben, dass man Dinge verstehen kann. Sie haben die Tatsache nicht begriffen, dass die Welt ein einziger Widerspruch ist.“
„Ein Widerspruch gegen was?“, fragte die ältere Dame.
„Gegen sich selbst.“
„Wie … wie ist das möglich?“
„Meine Liebe, die Pflicht von uns Denkern ist nicht zu erklären, sondern zu demonstrieren, dass nichts erklärbar ist.“
„Ja, natürlich … nur …“
„Der Zweck der Philosophie ist nicht, Wissen zu suchen, sondern zu beweisen, dass der Mensch nichts wissen kann.“
„Aber wenn wir das beweisen“, fragte die junge Frau, „was bleibt dann noch?“
„Der Instinkt“, sagte Dr. Pritchett ehrfürchtig.
Am anderen Ende des Raumes lauschte eine Gruppe Balph Eubank. Er saß aufrecht auf der Kante eines Sessels, um der Tendenz seines Gesichts und seiner Figur, im entspannten Zustand in die Breite zu gehen, entgegenzuwirken.
„Die Literatur der Vergangenheit“, sagte Balph Eubank, „war ein seichter Trug. Sie wusch das Leben weiß, um den Geldmagnaten zu gefallen, denen sie diente. Moral, freier Wille, Leistung, Geschichten mit gutem Ausgang, der Mensch als irgendwie heldenhaftes Wesen – all das ist für uns lächerlich. Unser Zeitalter hat der Literatur zum ersten Mal Tiefe gegeben, indem sie die wahre Natur des Lebens zeigt.“
Ein sehr junges Mädchen in einem weißen Abendkleid fragte schüchtern: „Was ist die wahre Natur des Lebens, Mr. Eubank?“
„Leiden“, sagte Balph Eubank. „Niederlage und Leiden.“
„Aber … warum? Die Menschen sind glücklich … manchmal … oder nicht?“
„Das ist eine Illusion derer, die oberflächliche Gefühle haben.“
Das Mädchen wurde rot. Eine wohlhabende Frau, die eine Ölraffinerie geerbt hatte, fragte schuldbewusst: „Was können wir tun, um den Literaturgeschmack der Leute zu heben, Mr. Eubank?“
„Das ist ein großes gesellschaftliches Problem“, sagte Balph Eubank. Er wurde als der führende Literat der Zeit bezeichnet, hatte aber noch nie ein Buch geschrieben, von dem mehr als dreitausend Stück verkauft worden waren.
Weitere Kostenlose Bücher