Der Streik
Gesellschaft wird die Rechnung für Horsd’œuvres in diesem Haus etwas kürzen.“ Er deutete mit dem Arm zum Buffet.
„Warum gehen Sie davon aus, dass ich etwas dagegen habe?“
„Haben Sie nicht?“ Bertram Scudder stellte die Frage ohne wirkliche Neugierde.
„Nein!“, ereiferte sich Philip. „Ich habe das Gemeinwohl stets über alle persönlichen Belange gestellt. Ich habe mit meiner Zeit und meinem Geld den Kampf der Freunde des globalen Fortschritts für das Chancengleichheitsgesetz unterstützt. Ich finde, es ist einfach unfair, dass ein Mensch alle großen Chancen bekommt und den anderen keine übrig lässt.“
Bertram Scudder sah ihn forschend an, doch ohne besonderes Interesse. „Das ist ja außergewöhnlich freundlich von Ihnen“, sagte er.
„Es gibt tatsächlich Leute, die moralische Angelegenheiten ernst nehmen, Mr. Scudder“, sagte Philip mit einem stolzen Unterton in der Stimme.
„Wovon spricht er, Philip?“, fragte Betty Pope. „Wir kennen doch niemanden, der mehr als eine Firma besitzt, oder?“
„Ach, halten Sie den Mund!“, sagte Bertram Scudder gelangweilt.
„Ich verstehe die ganze Aufregung über dieses Chancengleichheitsgesetz nicht“, sagte Betty Pope aggressiv im Ton eines Wirtschaftsexperten. „Ich verstehe nicht, warum Geschäftsleute dagegen sind. Es ist doch zu ihrem eigenen Vorteil. Wenn alle anderen arm sind, gibt es keinen Markt für ihre Produkte. Aber wenn sie damit aufhören, so selbstsüchtig zu sein, und die Güter, die sie gehortet haben, mit anderen teilen, haben sie die Möglichkeit, hart zu arbeiten und noch mehr davon zu produzieren.“
„Ich verstehe nicht, warum man die Industriellen überhaupt berücksichtigt“, sagte Scudder. „Wenn die Massen verarmt sind, aber Waren verfügbar, ist es dumm zu erwarten, dass die Leute sich von einem Fetzen Papier namens Eigentumsurkunde aufhalten lassen. Eigentumsrechte sind ein Aberglaube. Eigentum hat man nur mit der freundlichen Genehmigung all jener, die es nicht beanspruchen. Das Volk kann sich seiner jederzeit bemächtigen. Wenn es das kann, warum sollte es das nicht tun?“
„Es sollte es tun“, sagte Claude Slagenhop. „Denn es braucht es. Not ist der einzige triftige Grund. Wenn Menschen in Not sind, müssen wir zuerst Dinge beschlagnahmen und dann darüber reden.“
Claude Slagenhop hatte sich genähert und es geschafft, sich zwischen Philip und Scudder zu drängen, indem er Scudder unmerklich beiseiteschob. Slagenhop war weder groß noch schwer, aber er hatte einen stämmigen, kompakten Körper und eine schiefe Nase. Er war der Präsident der Freunde des globalen Fortschritts.
„Der Hunger wird nicht warten“, sagte Claude Slagenhop. „Ideen sind nichts als heiße Luft. Ein leerer Magen ist eine greifbare Tatsache. Ich habe in all meinen Ansprachen immer gesagt, dass es nicht notwendig ist, zu viel zu reden. Die Gesellschaft leidet zurzeit unter einem Mangel an geschäftlichen Möglichkeiten, daher haben wir das Recht, jene Möglichkeiten zu ergreifen, die sich uns gerade bieten. Richtig ist, was gut für die Gesellschaft ist.“
„Er hat das Erz ja nicht alleine ausgegraben, nicht wahr?“, rief Philip plötzlich mit schriller Stimme. „Er musste Hunderte von Arbeitern dafür anstellen. Sie haben es getan. Warum glaubt er, dass er so gut ist?“
Die beiden Männer sahen ihn an, Scudder hob eine Augenbraue, Slagenhop verzog keine Miene.
„Oh, mein lieber Gott!“, rief Betty Pope, die sich an etwas erinnerte.
Hank Rearden stand in einer dunklen Fensternische am Ende des Salons. Er hoffe, dass ihn einige Minuten lang niemand bemerken würde. Er war eben einer Frau mittleren Alters entkommen, die ihm von ihren übersinnlichen Erlebnissen berichtet hatte. Er blickte hinaus. Weit in der Ferne flackerte der rote Schein von Rearden Steel am Himmel. Er beobachtete ihn, um sich einen Augenblick der Entspannung zu gönnen.
Er wandte sich wieder dem Salon zu. Er hatte sein Haus nie gemocht, Lillian hatte es ausgewählt. Aber heute Abend überlagerten die verschiedenen Farben der Abendkleider das Aussehen des Raumes und verliehen ihm einen hellen und fröhlichen Anstrich. Er sah es gerne, wenn die Menschen fröhlich waren, obwohl er diese spezielle Form des Vergnügens nicht nachvollziehen konnte.
Er blickte auf die Blumen, die funkelnden Lichter auf den Kristallgläsern und die nackten Arme und Schultern der Frauen. Draußen fegte ein kalter Wind über das kahle Land. Er sah, wie sich die
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