Der stumme Ruf der Nacht
schweifen. »Davon abgesehen habe ich das Gefühl, dass Sie das sowieso schneller erledigen als wir.«
Sie bemühte sich, sich nicht allzu geschmeichelt zu fühlen, aber er hatte ihr in der letzten Zeit schon einige sehr nette Komplimente gemacht. Das gehörte wohl zu seinem Charme. »Um wen geht es?«
»Lindsey Ann Kahn. Fünfunddreißig Jahre alt und Single. Sie ist Juniorpartner bei der Kanzlei Wilkers & Riley.«
»Sie war doch gemeinsam mit Alvin am LivTech-Prozess beteiligt.«
Er nickte.
»Sie haben mir gar nicht gesagt, dass das nicht Ihr Fall ist.«
Er zuckte die Schulter. »Das ist auch eher eine Formalie.«
Sie verschränkte wieder die Arme vor der Brust. »Das kostet Sie tausend Dollar.«
Er stieß einen Pfiff aus. »Ganz schön happig.«
»Niemand zwingt Sie dazu. Arbeit habe ich mehr als genug.« Das stimmte zwar nicht, aber alles musste er ja auch nicht wissen.
Nachdenklich trank er von seinem Kaffee. »Okay, akzeptiert. Aber für den Preis brauche ich schnell Ergebnisse. Lindsey Kahn wurde vergangenen Freitag zum letzten Mal gesehen, als sie ihr Büro verließ. Seit Freitagabend stand Kahns Wagen auf dem Parkplatz ihres Fitnessstudios. Von ihr fehlt seither jede Spur. Ich möchte wissen, wo sie hin ist.«
»Was, wenn sie tot ist?«
»Das ist gut möglich. Aber sie kann auch auf eigene Faust verschwunden sein.«
Alex musste zugeben, dass sie fasziniert war. Und eintausend Dollar würden ihrem Konto diesen Monat sehr guttun. Sie hatte Courtney Glass einen Supersonderpreis gegeben, weil ihr deren Mut gefiel und sie auch Mitleid mit ihr hatte. Sie hätte nicht so gutmütig sein sollen.
»Okay, akzeptiert.«
Er nickte beiläufig, als hätte er nichts anderes erwartet. »Gut. Ich melde mich in vierundzwanzig Stunden wieder. Dann sehen wir, was Sie haben.«
»Das ist nicht gerade viel Zeit.«
Mit einem Lächeln reichte er ihr die leere Tasse. »Für Sie doch kein Problem, oder?«
Nachdem er gegangen war, blieb sie im Empfangszimmer. Es war höchste Zeit, hier klar Schiff zu machen. Eben hatte sie einen Tagessatz von tausend Dollar verlangt. Da sollte sie auch entsprechend professionell auftreten. Die Verhübschung des Büros war nicht so wichtig, aber ihr neuer Computer sollte möglichst bald aufgestellt sein und laufen.
In einer Kiste mit Büromaterial fand sie ein Teppichmesser,
mit dem sie den Lieferkarton aufschnitt. Tausende von Styroporchips zur Polsterung brandeten ihr entgegen. Sie ruckelte an dem gewaltigen Gerät, doch das rührte sich keinen Millimeter. Sie zog und zerrte – ohne Erfolg. Als sie den Karton auf die Seite kippte, hörte sie, wie hinter ihr die Tür aufging. Devereaux musste etwas vergessen haben. Dann konnte er ihr ja gleich beim Auspacken dieses Monsters helfen.
Sie drehte sich um. In der Tür stand ein Mann mit Skimaske. Und in der Hand hielt er eine Sig Sauer, genau dieselbe Waffe, die Alex in ihrer Schreibtischschublade bewahrte.
Nur leider gut zehn Meter weg.
Sie versuchte zu sprechen, doch ihr versagte die Stimme. Beim Anblick der Pistole fing ihr Puls an zu rasen.
Er drehte sich um und verriegelte die Tür. Im selben Moment steckte sie das Teppichmesser in die Gesäßtasche.
Er ging zu ihr, stieß sie grob ins Büro zurück und drängte sie dort auf einen Stuhl. Durch die Sehschlitze in der Maske sahen sie blutunterlaufene graue Augen an.
»Wir können das auf die sanfte oder die harte Tour machen«, sagte er. »Ganz wie du willst.«
Alle ihre Gedanken waren auf das Messer konzentriert. Sie musste den Zeitpunkt sehr genau wählen, sonst -
»Wo ist Courtney Glass?«
»Wer?«
Seine Faust traf ihre Wange und erschütterte ihren
ganzen Kopf. »Das war mein linker Haken. Möchtest du den rechten auch noch kennen lernen?«
Alex schossen Tränen in die Augen. Sie fühlte sich wie betäubt. Geschockt. Sie versuchte nachzudenken. »Ich weiß nicht -«
Der Griff der Pistole schwang zur Seite. Alex riss den Kopf herum. Dennoch traf sie der Schlag, und ihr wurde schwarz vor Augen.
Will stellte den Suburban auf einem Campingplatz vor der Stadt ab und wanderte durch den Wald, der die südwestliche Flanke des Canyons bedeckte. Ein Fremder in einer so zerbeulten Kiste wie seiner würde sicher Aufmerksamkeit erregen, und die konnte er momentan weiß Gott nicht brauchen. Nahezu alles, was er in den vergangenen zwei Tagen unternommen hatte, war wenn nicht illegal, doch so hart an der Grenze, dass es ihn durchaus den Job kosten könnte. Aber ehe Will zur
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