Der stumme Ruf der Nacht
hinzu. Café: neun; Lebensmittelladen: sieben; Tankstelle: vier; Telefonzelle: null.
Sein Handy vibrierte. Nach einem Blick auf die Nummer wog er das Risiko, das ein Gespräch mit Devereaux barg, gegen den möglichen Informationsgewinn ab.
»Ja?«, sagte er leise.
»Wo bist du?«
»Beschäftigt. Was ist los?«
»Verdammt, Hodges. Du hast dir echt den richtigen Tag ausgesucht, um krank zu sein. Ich bin gerade im Krankenhaus bei Alex Lovell.«
»Diese Privatdetektivin?«
»Genau die. Sie ist heute Morgen in ihrem Büro von einem Kerl mit Skimaske überfallen und zusammengeschlagen worden. Er kam wegen Courtney, und nun
hat sie wegen dem Scheißkerl eine Gehirnerschütterung. Auch ihre Lippe ist aufgeplatzt. Sie ist kaum mehr als ein Häufchen Elend -«
»Hat sie Courtney verraten?«
Schweigen. »He, sonst geht es ihr übrigens gut, danke der Nachfrage. Und sie hat Courtney nicht verraten. Allerdings hat das Arschloch ihren Computer mitgehen lassen, so dass er sie möglicherweise ausfindig machen kann. Alex meinte, sie hatten vor etwa einer Woche E-Mail-Kontakt. Zum Glück hat die Kamera den Kerl aufgezeichnet, so dass wir an seiner Identifizierung arbeiten können und -«
»Ich ruf dich später an.«
Will legte auf und konzentrierte sich auf die Frau, die die Straße überquerte. Sie war blond und trug ein Flanellhemd. Sie war auf dem Weg zum Lebensmittelladen. Alles an ihr sah falsch aus, außer …
Dieser Gang! Er würde ihn überall erkennen. Sie trug Jeans und Wanderstiefel, aber sie ging wie in Pfennigabsätzen. Und diese Haltung. Als sie den Laden auch noch durch den Ausgang betrat, tat Wills Herz einen Satz.
Er erhob sich von seinem Versteck hinter dem Baumstamm.
Courtney lag auf dem schmalen Balkon vor ihrem Zimmer, stützte sich auf die Handflächen und drückte ihren Rumpf nach oben. Dann legte sie den Kopf in den Nacken und ging in die Kobrastellung. Sie blickte zum Himmel. Er war bereits dunkel, die Nacht senkte sich über das Tal. Sie sog die reinigende Luft tief ein, um
noch einen Moment lang die Ruhe zu genießen, ehe sie duschen ging.
Da nahm sie im Augenwinkel eine Bewegung wahr.
Sie suchte den kiefernbedeckten Abhang ab. War da etwa jemand …? Nein, wohl nur ein Eichhörnchen. Sie atmete noch einmal tief durch und ermahnte sich, ruhig zu bleiben. Schon den ganzen Tag war sie nervös gewesen.
Sie erhob sich und streckte die Arme über den Kopf. Wärme durchströmte sie. Sie fühlte sich gelöst und von ihrer halben Stunde Gymnastik erfrischt. Es war nicht ganz so wirkungsvoll wie Bikram-Yoga, wofür sie mehr Platz gebraucht hätte, aber dennoch, es tat ihr gut.
Sie nahm das Handtuch vom Geländer und trocknete sich das Gesicht. Ein Windhauch fuhr über den Abhang, und die Kiefern schwankten. Wieder ließ sie den Blick über den Wald streifen, mit besonderem Augenmerk auf die dunklen Stellen und schwarzen Schatten. Nichts. Niemand bewegte sich da draußen.
Sie zog die gläserne Schiebetür auf und ging hinein. Auf dem Bett lagen mehrere Tüten mit ihren Einkäufen. Sie kramte darin herum, bis sie die Seife und einen Rasierapparat fand, und ging ins Bad.
Der Wasserdruck war wieder schwach, so dass sie nicht lange trödelte. Es war kein Geheimnis, warum die Zimmer von Paulines Mitarbeitern ausgerechnet in diesem Trakt lagen – sie waren winzig, sie hatten völlig veraltete sanitäre Einrichtungen, und sie lagen allesamt auf der Berg- statt auf der Talseite. Und sie müssten dringend renoviert werden. Sie schob den orangeblau-gestreiften
Duschvorhang beiseite, stieg aus der Dusche und schlang ein Badetuch um sich.
Anschließend ging sie ins Schlafzimmer und wühlte in einer Schublade. Ein Nachthemd aus Baumwolle oder Flanell? Keines der beiden Walmart-Teile war besonders verlockend. Allein beim Gedanken an ihren Kleiderschrank bekam sie Heimweh. Sie sehnte sich heute Abend danach, in etwas Kühles und Seidiges zu schlüpfen. Sie entschied sich für ein Spitzenhöschen und ein schwarzes Tank-Top, ließ das Badetuch von ihrem Körper gleiten und zog sich an. Dann öffnete sie den kleinen Kühlschrank und überlegte, was sie zu Abend essen sollte.
Das Menü war so aufregend wie die Auswahl der Nachtwäsche – Joghurt, Äpfel oder die zweite Hälfte des Club Sandwichs, das sie sich gestern Abend gemacht hatte. Um die Gefahr der Langeweile auf ihrer Speisekarte wenigstens etwas zu bannen, nahm sie sich einen Apfel.
Ein kühler Windstoß strich ihr über die Haut, und sie wandte
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