Der stumme Ruf der Nacht
eines jungen Detectives wäre das sicher nicht gerade förderlich.
Courtney drehte sich auf den Bauch und schloss die Augen. Sie stellte sich ein Gefängnis vor, mit gewalttätigen Auseinandersetzungen unter den Häftlingen und die orangefarbige Gefangenenkluft. Und das war nicht mal das Schlimmste. In Texas kamen auch Frauen in die Todeszelle.
Das würde sie nicht ertragen. Das durfte einfach nicht geschehen. Aber dann erinnerte sie sich an Wills Gesicht. Wie ernst er im Verhörzimmer dreingeblickt hatte, in dem auch dieser Lieutenant gewesen war. Und wie ernst er sie auch heute Abend in ihrer Küche betrachtet hatte. Da hatte sie gewusst, dass sie in echten Schwierigkeiten war.
Vielleicht sollte sie abhauen. Ihr Aussehen verändern und ihren Namen und -
Bumm.
Sie saß kerzengerade im Bett. War da jemand auf der Veranda? Amy und Devon waren heute früher als sonst nach Hause gekommen. Vielleicht war Amys Freund wieder da?
Knarr .
Sie schlug die Decke zurück und sprang aus dem Bett. Sie griff nach dem Pfefferspray und sah sich gehetzt
um. Sollte sie sich verstecken? Oder die Polizei rufen? Sie wurde panisch, als ihr einfiel, dass ihr Telefon in der Küche war. Es steckte im Ladegerät.
Aber ihre Handtasche lag auf dem Boden. Sie bückte sich rasch und schlang sie über die Schulter. Mit der freien Hand wühlte sie nach der Schere, während die andere das Spray fest umklammert hielt. Ganz langsam schlich sie auf den Gang.
Dort verharrte sie kurz mit gespitzten Ohren. Die Schere in ihrer Hand fühlte sich kühl und glatt an. Stille. Als sie die Treppe hinunterschlich, hörte sie ihr Herz schlagen. Sie blieb an der Zwischentür zwischen Diele und Wohnzimmer stehen und spitzte um die Ecke. Im Dunkeln sah sie die Eingangstür. Sie hielt den Atem an.
Nichts.
Eine Minute verstrich. Und noch eine.
Geräuschlos schlich sie zur Tür und linste durch den Spion.
Niemand zu sehen. Sie ging ans Wohnzimmerfenster und spähte durch die Jalousien. Die Veranda war leer. Der Vorgarten auch. Sie überprüfte die Straße in beiden Richtungen, doch außer den an den Seitenstreifen geparkten Autos nahm sie nichts wahr.
Als ihr Blick zum Haus gegenüber schweifte, war sie etwas erleichtert. Die Nachbarn hatten einen Dobermann, der schon beim kleinsten Anlass bellte – bei jedem Auto, bei jedem Eichhörnchen. Sobald sich etwas auf der Straße regte, kläffte er los. Bislang hatte sie ihn immer als Ärgernis betrachtet, aber jetzt wurde er ihr Lieblingstier. Er machte keinen Mucks.
Wahrscheinlich hatte sie sich alles nur eingebildet.
Die Anspannung fiel von ihr ab. Sie drehte sich um und blickte in ihr dunkles Wohnzimmer. Die Digitalanzeige des Kabelanschlusses leuchtete grünlich auf den beigefarbigen Teppich. Die Eismaschine rumpelte. In der Luft hing ein Geruch von geschmolzenem Käse, und sie erinnerte sich, wie Will an ihrem Tisch gesessen und seine Anwesenheit die Küche gefüllt hatte. Sie wünschte, er wäre wieder da und würde sie ablenken in der vor ihr liegenden Nacht.
Sie nahm eine Chenille-Decke vom Sessel und wickelte sich ein. Dann griff sie nach der Fernbedienung und kuschelte sich in eine Sofaecke. Sie erwartete eine weitere schlaflose Nacht.
»Hübsches Tor«, scherzte Devereaux, als Will den Taurus vor dem aufwändig geschmiedeten Eisengitter abbremste.
»Du solltest erstmal das Haus sehen.« Will ließ das Fenster herunter und blickte auf die Tastatur neben dem Lautsprecher. Wie beim letzten Mal drückte er auf den grünen Knopf, und nach etwas Knacken, Krächzen und kaum verständlichen Wortfetzen glitt das Tor auf.
»Prima Sicherheitsmaßnahme«, murmelte Devereaux.
»Finde ich auch.«
»Hey, hast du in letzter Zeit eigentlich Post bekommen?«
Will sah zu ihm hinüber. »Nein.« Er fuhr durch das Tor und lenkte den Wagen über die gewundene, von Palmen gesäumte Einfahrt zum Haus.
»Ich bekomme seit einiger Zeit seltsame Briefe«, sagte Devereaux. »In die Arbeit. Und auch nach Hause.«
»Was, du kriegst sie nach Hause geschickt?«
»Manche schon.«
»Worum geht es darin?«
Er schüttelte den Kopf. »Ach, irgendwie ergeben sie keinen rechten Sinn. Eigentlich sind sie sogar ziemlich verrückt. Ich dachte nur, sie könnten was mit einem unserer Fälle zu tun haben. Du hast in letzter Zeit nichts dergleichen gekriegt?«
»Nein.«
Devereaux seufzte. »Vielleicht hängen sie mit dem Goodwin-Fall zusammen. Cernak steckt deswegen gerade eine Menge Prügel ein.«
Soweit Will beurteilen
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