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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Rath. »Der Hund braucht Auslauf.«
    »Darf ich Kirie nehmen?« Charly durfte.
    Sie suchten sich einen Weg durch die Villenkolonie am Wannsee und staunten.
    »Was für Häuser«, sagte Paul, »eins prunkvoller als das andere.« »Zu so was sagt man nicht Haus«, erklärte Rath, »das sind AndereWesen.«
    »Geld müsste man haben«, meinte Paul, »dann würde man wohl in so einem Anwesen wohnen und nicht Hochparterre im Agnesviertel.«
    »Ich glaube, wenn ich Geld hätte, würde ich trotzdem in Moabit bleiben«, sagte Charly.
    Rath sagte nichts. Am gegenüberliegenden Ufer konnte er die Türme und Zinnen der Marquard-Villa erkennen. Selbst an einem sonnigen Tag wie heute hatte das Anwesen etwas Düsteres. Bevor er da einziehen müsste, würde er auch lieber am Luisenufer bleiben. Oder mit Charly in Moabit leben. Das sogar noch lieber.
    Irgendwann war die Villensiedlung zu Ende, und sie kamen in den Wald. Nach einer Weile führte der Weg sie wieder ans Ufer, und sie genossen die schönen Ausblicke auf den See, auf dem die ersten Segler ihre eingerosteten Boote ausprobierten.
    »Dort drüben, das ist die Pfaueninsel«, erzählte Charly, »die Lieblingsinsel von Königin Luise.«
    »Du kennst dich aber gut aus ... «
    »Mein Vater ist früher oft mit mir hier spazieren gegangen«, sagte sie, »er mag das alles hier sehr. Dahinten kann man mit einer Fähre übersetzen, aber ich denke, wir gehen noch ein Stückchen weiter, dann sind wir in Nikolskoe.«
    Sie gingen noch eine ganze Weile den See entlang, immer mit Blick auf die Pfaueninsel, dann erhob sich links mitten im Wald plötzlich eine Kirche, und dann standen sie vor einem dunklen russischen Blockhaus, das auf einer kleinen Anhöhe über dem See thronte.
    »Nikolskoe«, meinte Charly. »Wunderschön«, sagte Rath.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass wir schon so weit im Osten sind«, sagte Paul.
    Im Blockhaus war eine Gaststätte untergebracht, auf deren Terrasse man über den See blicken konnte. Der Wirt hatte optimistisch die ersten Tische und Sonnenschirme rausgestellt, und die Gäste nahmen das Angebot gerne an. Sie hatten Mühe, noch einen Platz zu finden, aber ein Kellner führte sie zielsicher zu einem kleinen wackligen Tischchen.
    »Sprechen die hier Deutsch?«, fragte Paul.
    »Du kannst ja mal deine Russischkenntnisse ausgraben, wenn du willst«, meinte Rath.
    »Der erste Wirt hier war tatsächlich ein Russe«, erzählte Charly, »Iwan Bockow, der Kutscher des Königs. Als das Blockhaus fertig war, im Jahr achtzehnhundertzwanzig, wurde er Aufseher. In den ersten Jahren kam vor allem der König zum Tee, aber nach und nach wurde das Blockhaus zu einem beliebten Ausflugsziel. Und Bockow hat seine Gäste natürlich herzlich bewirtet, hat sogar zum Tanz aufgespielt, er war ein ganz passabler Klavierspieler. Der König hat das zwar verboten, als er dahinterkam, aber heimlich hat Bockow doch weitergemacht, Nikolskoe war einfach zu beliebt. Tja«, sagte sie, »so hat das hier angefangen. Kein normales Ausflugslokal also.«
    Der Kellner, der kurz darauf an ihren Tisch trat, machte überhaupt keinen russischen Eindruck, eher einen berlinerisch-mürrischen. »Soljanka is aus«, sagte er, als Rath etwas Passendes zu bestellen versuchte. Er empfahl ihnen Wiener Schnitzel, und mangels sinnvoller Alternativen entschieden sie sich alle drei dafür.
    »Ist die Gastronomie hier immer noch illegal?«, flüsterte Paul, »irgendwie kommt mir das so vor. Der Kellner wirkt wie gerade aus dem Zuchthaus entlassen.«
    »Willkommen in Berlin«, meinte Rath nur.
    »Vorsicht! Ihr sitzt hier mit einer Berlinerin am Tisch!« »Ausnahmen bestätigen die Regel«
    Der Kellner kam mit den Getränken. Tierlieb war er jedenfalls, er stellte dem Hund einen Napf mit Wasser hin. Paul hatte den Wein ausgesucht, und er war wirklich gut.
    »Sie sind also Weinreisender?«, wollte Charly von ihm wissen. »Ich habe eine Weinhandlung, das ist ein kleiner Unterschied.
    Wir wollen gerade expandieren. Ein bisschen mehr qualitätsvollen Rheinwein in die Hauptstadt bringen.« Paul hob sein Glas. »Wo wir endlich bewaffnet sind«, meinte er, »meinen Sie nicht, es ist Zeit, endlich mit dem Siezen aufzuhören? Hernach komme ich noch ganz durcheinander und fange an, Gereon zu siezen, obwohl ich das noch nie getan habe. Also: Ich heiße Paul.«
    »Charlotte. «
    Sie stießen an, und Paul hauchte Charly rechts und links einen Kuss auf die Wange.
    »Auch wenn wir uns bereits duzen, anstoßen darf ich doch wohl mit

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