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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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dann bleiben sie lange frisch. Bis zu einem halben Jahr.«
    »Ist das nicht teuer? Aus China zu importieren.«
    Lingyuan zuckte die Achseln. »Die Menge macht's«, sagte er. »Wissen Sie, wie viele Chinesen hier in der Stadt leben? Ein paar tausend. Die Ärmeren am Schlesischen Bahnhof, die Wohlhabenderen in Charlottenburg, der Rest überall verstreut in der übrigen Stadt.«
    »Und die kaufen alle bei Ihnen?«
    »Alle chinesischen Restaurants kaufen bei mir ein, würde ich sagen. Und zwei, drei Chinaläden auch.«
    »Haben Sie die Adressen?«
    »Wozu?«
    »Ich muss wissen, wo überall in der Stadt Yangtao verkauft wird. Gibt es außer Ihnen noch andere Importeure?«
    »Nicht dass ich wüsste. Jedenfalls niemanden, der chinesisches übst und Gemüse auch anbaut.«
    »Hier in Berlin?«
    »Habe eine kleine Gärtnerei draußen in Mariendorf. Vor ein paar Wochen hätte ich Ihnen noch Yangtao anbieten können, die ich vor Weihnachten selbst geerntet habe.«
    »Bestimmt ein gutes Geschäft.«
    »Man hat sein Auskommen.«
    »Wie teuer ist denn so eine Yangtao?«
    »Etwas mehr als für einen Apfel müssen Sie da schon hinlegen.« »Also eine Delikatesse ... «
    »Wenn Sie so wollen. Jedenfalls etwas Besonderes. Und noch dazu sehr gesund.«
    Rath zeigte dem Chinesen die Fotos von Betty Winter und Jeanette Fastré. Lingyan schien nicht ins Kino zu gehen und auch keine Zeitung zu lesen, er schüttelte den Kopf. »Noch nie gesehen«, sagte er.
    »Wo könnten diese Frauen Yangtao bekommen haben?«
    »Ich schreibe Ihnen auf, wo Sie nachfragen können«, sagte der Gemüsehändler und griff nach einem Notizblock, der direkt neben der Waage lag.
    Mit den Adressen von fünf Restaurants und drei Geschäften verließ Rath die Markthalle wieder. Auch das Yangtao war darunter. Aber die Restaurants abzuklappern, das würde sich heute nicht lohnen. »Ruhetag«, hatte Lingyuan ihn vorgewarnt. Also die Chinaläden. Zwei lagen in Friedrichshain, einer im Westen. Rath holte den Wagen vom Alex und fuhr als Erstes zur Krautstraße, die das Herz des kleinen Berliner Chinesenviertels bildete. An die Gegend hatte er keine gute Erinnerung. Nur wenige Häuserblocks weiter, an einer Baustelle in der Koppenstraße, hatte sich sein folgenschwerer Zusammenstoß mit Josef Wilczek ereignet.
    Er parkte den Wagen direkt vor der ersten Adresse. Verglichen mit New Yorks Chinatown rund um die Pell Street, die er zusammen mit seinem Bruder vor Jahren einmal besucht hatte, war das hier eine enttäuschende Angelegenheit. Eine ganz normale Straße im Berliner Osten: die Fassaden ein wenig heruntergekommen, kaum Autos an den Straßenrändern, ein paar Kinder, die lautstark auf dem Gehweg spielten. Kein einziger Chinese auf der Straße. Immerhin war der Chinaladen, vor dessen Schaufenster er den Buick abstellte, mit roten chinesischen Schriftzeichen geschmückt. Lateinische Buchstaben gab es überhaupt keine; von außen war nicht zu erkennen, ob es sich um einen Gemüseladen, ein Bekleidungsgeschäft oder eine Wäscherei handelte. Wie es sich zeigte, war es eine Mischung aus alldem und noch viel mehr, ein Sortiment, so breit wie das des KaDeWe, allerdings auf einem Bruchteil der Fläche. Neben Lebensmitteln, Tee und Gewürzen bunte Seidenstoffe, Porzellan, geschnitzte Specksteinfigürchen, Fächer, Papierlaternen, alles eng gestellt und in wildem Durcheinander. Die ältere Chinesin im Inneren der dunklen Höhle, in der es noch fremder roch als in Lingyuans Marktstand, sprach kein Wort Deutsch. Rath versuchte es mit Zeichensprache, zeigte ihr die Fotos und deutete mit dem Zeigefinger auf den Fußboden. » Die hier?« fragte er, »Yangtao?« Die Chinesin zeigte auf eine Kiste mit ein paar kümmerlichen Yangtao. Rath zeigte die Fotos noch einmal und wiederholte seine Frage, diesmal ohne den Zusatz Yangtao, doch die Frau schüttelte ihren Kopf. Während der ganzen Unterhaltung, wenn man das so nennen konnte, hatte ihr Gesicht unter der schwarzen Betonfrisur nicht eine einzige Gemütsregung gezeigt. Im zweiten Laden, nur wenige Häuser weiter in der Markusstraße, blieb Rath genauso erfolglos. Auch hier gab's Yangtao, sprach man kein Deutsch und kannte die Schauspielerinnen nicht.
    Als er zu seinem Auto zurückkehrte, fand er den Buick von ein paar Rotzlöffeln umringt.
    »Is det Ihra, Meester?«, fragte ein besonders mutiger. »Schicket Jefährt, wa.«
    »Nur gucken, nicht anfassen«, sagte Rath und stieg ein. Ziemlich miese Gegend hier. Er konnte sich nicht vorstellen,

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