Der stumme Tod
sie, »und im Präsidium scheint er auch nicht mehr zu sein.«
»Und was machen wir nun mit dem angefangenen Abend?«, fragte Wittkamp.
Charlotte Ritter klang sehr bestimmt. »Ich denke, wir fahren zum Alex«, sagte sie. »Irgendwie habe ich ein komisches Gefühl dabei, dass kein Mensch weiß, wo Gereon ist.«
»Vielleicht sitzt er irgendwo in einer Kneipe und trinkt sich einen an«, meinte Wittkamp.
»Nicht wenn er mit Herrn Weinert hier verabredet ist. Und bei uns hat er sich auch nicht gemeldet, obwohl seine Sekretärin ihm doch gesagt haben muss, dass wir angerufen haben. Irgendwas stimmt da nicht, vielleicht kriegen wir es ja raus!«
Sie schaute Weinert an mit einem Blick, der keinen Widerspruch duldete. »Wollen Sie vielleicht noch eine Weile hierbleiben? Für den Fall, dass Gereon doch noch nach Hause kommt?«
Weinert nickte. »Hab sowieso nichts Besseres vor. Außerdem schmeckt das Bier im Nassen Dreieck ganz gut. Vielleicht taucht er da auf. Sonst werde ich mein Glück halbstündlich am Luisenufer versuchen.«
»Wenn er sich hier noch blicken lassen sollte, rufen Sie doch bitte im Präsidium an und fragen nach Charlotte Ritter.«
Weinen nickte. »Und wenn Sie etwas erreicht haben sollten, melden Sie sich doch einfach in der Kneipe. Zum nassen Dreieck. Leicht zu merken. Und wundern Sie sich nicht: Wenn der Wirt kein Wort sprechen sollte, dann sind Sie genau richtig verbunden.«
Kapitel 52
Ein pochender Schmerz holte ihn zurück. Er öffnete die Augen, doch die Schwärze blieb. Nur langsam schälten sich graue Konturen aus dem alles verschluckenden Schwarz. Viel konnte er nicht erkennen, die Umrisse zweier großer Fenster, doch die Nacht da draußen war beinahe genauso dunkel wie das Zimmer. Er konnte nicht sehen, wo er lag, vielleicht auf einem Bett oder einem Sofa, jedenfalls lag er bequem - wenn man in seiner Lage überhaupt von bequem reden konnte; irgendwie schien diese Kategorie nicht so recht zu passen.
Er versuchte sich zu erinnern. Bevor er in die Dunkelheit gestürzt war, hatte er das Gesicht einer Toten gesehen. Jeanette Fastré, in voller Lebensgröße und so lebendig, dass er für einen kurzen Moment geglaubt hatte, die Tote stünde vor ihm. Selbst Kirie hatte sich täuschen lassen und das Foto angebellt.
Wo war der Hund? Er schreckte hoch, vor Sorge, dem Tier könne etwas passiert sein, und sein Kopf antwortete mit einem dröhnenden Schmerz. Rath fuhr mit der Hand zum Kopf und wunderte sich fast, dass das möglich war. Er war nicht gefesselt. Vorsichtig betastete er seinen Hinterkopf. Der Schlag hatte eine satte Beule hinterlassen.
Wolfgang Marquard hatte ihn tatsächlich niedergeschlagen. Marquard, der Tonfilmfeind. Marquard, der Kinomörder!
Was hatte er vor? Wohin hatte er ihn gebracht? Er konnte doch nicht allen Ernstes glauben, all seine Probleme seien gelöst, wenn er einen Polizisten niederschlug.
Aber zunächst einmal war Rath derjenige, der Probleme hatte. Nur langsam ließ der Kopfschmerz nach.
Und plötzlich spürte er, dass er nicht allein war in diesem Raum, eine Silhouette vor dem Fenster bewegte sich leicht, er hörte Stoff knistern und dann eine Stimme.
Nein, keine Stimme, eher ein Keuchen, ein seltsames Zischen, eine Art Hecheln.
Es klang wie ein Lachen ohne Stimme.
» Willkommen in meinem Gefängnis«, zischte es aus der Dunkelheit. Dann wieder das hechelnde Lachen.
»Wer sind Sie?«
»Oh, Sie haben Ihre Stimme noch! Das wundert mich.« »Haben ... Sind Sie eine Schauspielerin? Hat er Ihnen die
Stimmbänder genommen?«
Wieder keuchte dieses stimmlose Lachen durch die Dunkelheit. »Warten Sie«, zischte die Stimme. Ein Flüstern, das nicht leise sein wollte, sondern laut, und dennoch musste Rath sich anstrengen, um alles zu verstehen. »Sie werden gleich sehen.«
Er hörte ein Möbel quietschen und Schritte in der Dunkelheit. Es klickte, dann wurde es hell im Zimmer. Rath blinzelte und schaute sich um. Ein dunkler, holzgetäfelter Raum, altmodisch eingerichtet, aber luxuriös. An der Tür stand eine Frau. Trotz ihrer schneeweißen Haare dürfte sie nicht viel älter als fünfzig sein, schätzte Rath. Die Frau kehrte zu ihrem Sessel zurück und setzte sich und schaute aus dem Fenster in die Nacht, die nun, da Licht im Zimmer brannte, zu einer undurchdringlichen schwarzen Masse geworden war. Rath richtete sich auf, und der Kopfschmerz ritt die nächste Attacke.
»Ich bin seine Mutter.«
Sie hatte weiter aus dem Fenster geschaut, während sie das sagte.
Im
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