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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Hellen konnte Rath ihr flüsterndes Sprechen noch schlechter verstehen. Das Zuhören strengte an, und bei jeder Anstrengung schmerzte sein Kopf noch mehr.
    »Was ist mit Ihrer Stimme, Frau Marquard? Hat Ihr Sohn ... « »Ich würde so gern noch einmal hinaus an den See. Aber er lässt mich nicht.«
    »Hat er Ihnen ... hat Ihr eigener Sohn Ihnen die Stimmbänder genommen?«
    »Er lässt mich nicht mehr hinaus. Manchmal stehe ich oben im Turm und schaue auf den See und träume, ich stünde dort unten im Wind.« Ihr Flüstern wurde von Satz zu Satz leiser, als werde ihr selbst diese Art zu sprechen bald nicht mehr möglich sein. »Ich bin verdammt, hier auf den Tod zu warten, ohne noch einmal am See gesessen und den Wind in den Haaren gespürt zu haben.«
    Rath hatte das Gefühl, dass der Kopfschmerz stärker wurde. Er stand auf, für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen, und er musste sich an der Wand abstützen. Er ging zur nächsten Tür, sie ließ sich öffnen. Na also!
    »Sie kommen hier nicht raus. Sie kommen nur in die nächste Zelle unseres goldenen Gefängnisses.« Das erste Mal drehte sie sich zu ihm um und schaute ihn direkt an. Sie hatte ein makellos schönes Gesicht und eine Haut, so hell, dass sie fast transparent erschien. »Was meinen Sie, warum Sie hier oben sind bei mir?«, fuhr sie fort. »Hier kommt niemand raus, wenn Wolfgang es nicht will. Nicht einmal die Fenster kann man öffnen.« Sie keuchte noch einmal ihr Lachen. »Es ist ein gutes Gefängnis, mein Mann hat es damals gebaut für Wolfgang. Mein Mann hat den Jungen eingesperrt, nicht ich! Und jetzt rächt er sich an mir. Ist das nicht komisch.« Wieder lachte sie, für einen Augenblick sah sie so aus, wie Rath sich die böse Stiefmutter in Schneewittchen immer vorgestellt hatte, dann saß da wieder die immer noch schöne, aber viel zu schnell gealterte Dame.
    Rath musste sich am Türrahmen festhalten. Seine Hand zitterte für einen Augenblick, dann war es wieder vorbei. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn.
    »Sie brauchen Zucker. Sonst werden Sie sterben.« »Zucker? Bin ich ... Hat er ... «
    »Natürlich hat er Ihnen eine Spritze gegeben. Deswegen hat er Sie doch hergebracht.« Sie schüttelte den Kopf, als könne sie so viel Begriffsstutzigkeit nicht verstehen. »Hierher wird man nur zum Sterben gebracht.«
    »Dann geben Sie mir Zucker!«
    »Ich würde Ihre Gesellschaft gerne noch etwas genießen, ich habe hier so wenig Besuch. Nur ein paar alte Geister.« Die alte Dame lächelte. »Es wäre wirklich schön, könnten Sie noch etwas länger bleiben. Aber das steht nicht in meiner Macht. Bald werden Sie fort sein, und dann bin ich wieder allein.«
    »Sie werden mir doch irgendwas bringen können! Haben Sie keine Pralinen hier oben? Nehmen Sie keinen Zucker in Ihren Tee?« Rath spürte, wie er panisch wurde. »Obst, Bonbons, Saft, irgendwas wird doch greifbar sein, verdammt noch mal!«
    »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen. Hier oben hat es noch nie irgendetwas Süßes gegeben, keine Schokolade, kein Obst, kein Zucker, nichts. Nur deswegen ist dieses Gefängnis doch gebaut worden.«

Kapitel 53
    Als sie ins Büro der Mordbereitschaft kamen, saß Reinhold Gräf am Schreibtisch des Diensthabenden und las eine Abendzeitung, am Platz dahinter brütete ein junger Beamter, den sie nicht kannte, über irgendwelchen Akten.
    Gräf legte die Zeitung beiseite und stand auf, als er sie erblickte. »Charly«, sagte er und warf einen neugierigen Blick auf ihren Begleiter.
    »Paul Wittkamp«, stellte sie vor, »Gereons alter Schulfreund aus Köln - Reinhold Gräf, Kollege und Partner von Gereon Rath.« Die Männer gaben sich die Hand.
    »Angenehm«, sagte Gräf. »Partner stimmt derzeit allerdings nicht so ganz. Böhm hat uns auseinandergerissen, und Gennat hat da vorerst nichts dran geändert.«
    »Dann hast du also auch keine Ahnung, wo Gereon sich rumtreiben könnte?«
    Gräf zuckte bedauernd die Schultern. »Im Büro ist er jedenfalls nicht. Hab vorhin noch mal angerufen, da geht keiner ran.«
    »Hast du noch einen Schlüssel?«
    Gräf nickte. »Warum? Meinst du, er ist über irgendwelchen Aktenbergen eingeschlafen?«
    Charly lachte. »Das würde mich sehr wundem. Aber man kann ja nie wissen.«
    Gräf stand auf, ging zum Garderobenständer und wühlte eine Weile in seinen Manteltaschen, bis ein Schlüsselbund in seiner Hand klimperte.
    »Hier«, sagte er, »soll ich mitkommen?« »Nicht nötig. Ich kenn mich noch aus.« Das Büro war

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