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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Garten, die Äste der Bäume tanzen im Wind. Und dann kommen die Menschen. Glückliche Menschen in diesem Garten. Er weiß noch nicht, was passieren wird, aber er weiß, dass er seinen Blick nicht mehr abwenden wird.
    Und er hört sie sprechen, hört die Blätter im Wind rauschen, obwohl er weiß, dass da nichts ist außer dem Surren des Projektors.
    Nun weiß er, warum es sich lohnt. Warum sich die Qualen, die er durchleidet, nur um ein Leben voller Qualen zu verlängern, letzten Endes doch lohnen können.
    Er hat es gefunden. Sein neues Leben.

Kapitel 16
    Noch im Treppenhaus hörte er das Telefon klingeln. Es musste aus seiner Wohnung kommen, im Hinterhaus war er der Einzige, der eines besaß. Als er die Wohnungstür aufschloss, klingelte es ein letztes Mal, dann war der schwarze Apparat still.
    Nachdem er Hut und Mantel aufgehängt hatte, ging er gleich ins Wohnzimmer, legte eine Platte auf und ließ sich in den Sessel fallen. Coleman Hawkins' Saxophon drehte Pirouetten, unvorhersehbar schön wie ein Blatt im Wind. Rath schloss die Augen, die Musik machte ihn sofort ruhiger.
    Was wäre er ohne die Platten, die Severin ihm regelmäßig schickte? Er hätte wahrscheinlich keine drei Wochen in dieser Stadt ausgehalten. Ganz gleich was er anstellte, um sein verpfuschtes Leben wieder in den Griff zu bekommen, es missriet ihm. Beruflich trat er auf der Stelle, kam sich vor wie ein Hamster im Laufrad. Ob er es jemals bis zum Kriminaldirektor bringen würde wie sein Vater? Er glaubte weniger denn je daran. Und sein Privatleben? Sein Berliner Freundeskreis beschränkte sich auf Reinhold Gräf, mit dem er sich ab und zu im Nassen Dreieck betrank, und auf Berthold Weinert, mit dem er ab und zu essen ging und Informationen austauschte. Von seinen Kölner Freunden war Paul der einzige, der ihm geblieben war, der einzige, der ihm auch damals nach dem tödlichen Schuss im Agnesviertel nicht den Rücken gekehrt hatte. Anders als seine treue Verlobte Doris, die Frau, mit der er eine Familie hatte gründen wollen. Die hatte ihn fallen lassen, als habe er die Pest am Hals.
    Berlin hatte er als Chance gesehen, hier hatte er neu anfangen wollen, auch mit den Frauen. Und seine Bilanz? Nach dem derzeitigen Stand würde er wohl ewiger Junggeselle bleiben. Wie der Buddha. Na, solange er nicht wurde wie Brenner oder Czerwinski. Einer von den Rohrpostkunden im Resi.
    Er zündete sich eine Overstolz an. Wenigstens rauchen konnte er jetzt wieder in seiner Wohnung, ohne dass jemand meckerte. Er vermisste Kathi eigentlich nicht. Wenn sie bei dem Zigeuner bleiben wollte, mit dem sie aus dem Resi verschwunden war, warum nicht? Nein, er vermisste Kathi kein Stück.
    Er vermisste Charly.
    Wieder ging ihm ihr Anblick nicht aus dem Kopf. Ihr entsetzter Blick gestern. Ob sie ihn erkannt hatte?
    Na und, was änderte das? Er hatte es mit ihr ohnehin vermasselt, gründlich vermasselt, schon vor vielen, vielen Monaten. Manchmal glaubte er, dass sein Leben damals mit Charly eine andere Richtung hätte einschlagen können, dass sie eine dieser Chancen gewesen sein musste, die man nur ganz selten im Leben bekommt und ergreifen muss. Und er? Er hatte diese Chance mit seiner verdammten Verlogenheit in den Wind geschrieben, war zurück in sein Laufrad getreten und hatte fleißig weitergemacht, ohne nur einen Millimeter voranzukommen.
    Vielleicht bewegte sich ja nun wenigstens etwas, jetzt, wo er Brenner ein paar verpasst hatte. Wahrscheinlich nur in die falsche Richtung.
    Das Telefon klingelte wieder.
    Er überlegte, ob er wirklich rangehen sollte. Wer konnte das schon sein? Kathi, die ihm sagen wollte, dass es aus ist? Brenner, der ihn zum Duell forderte? Oder Böhm, der ihm den Fall abnehmen wollte?
    Rath nahm den schwarzen Hörer und meldete sich mit einem unverfänglichen » Ja?«
    »Da bist du ja endlich! Dachte schon, du kommst gar nicht mehr nach Hause.«
    »Vater?«
    »Hör zu, mein Junge«, sagte Engelbert Rath, »ich habe nicht viel Zeit, Mutter und ich gehen gleich zu den Klefischs rüber. Morgen sehe ich den Oberbürgermeister, auf der Tribüne am Zugweg, du kennst das ja. Kann ich ihm schon etwas mitteilen?«
    Kalt erwischt! In Sachen Adenauer hatte er noch keinen Finger gerührt.
    »Wir haben Sonntag. Heute produzieren die Fordwerke nicht.
    Und gestern hatte ich keine Zeit.«
    »Hast du noch gar nichts unternommen?« Engelbert Rath klang richtiggehend entsetzt. »Junge, weißt du, wie eilig diese Sache ist? Und wie wichtig? Ich stehe mit meinem

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