Der stumme Tod
chaotisch und unlogisch es manchmal auch sein mochte, so kompliziert, chaotisch und unlogisch es meistens auch war.
Rath schaute auf die Uhr und packte alle Hefter wieder zusammen, stauchte sie akkurat zusammen und legte sie zurück an ihren Platz. Zeit zu gehen.
Kapitel 15
Er kann es sehen. Sie kann nicht verbergen, welchen Eindruck diese Umgebung auf sie macht. Weniger die Gemälde an den Wänden und die übrigen Überbleibsel des alten Pomps als die schiere Größe des Raumes und der unvergleichliche Blick auf den Park und den See. So etwas hat sie noch nicht gesehen, das spürt er.
Die meisten Filmproduzenten sind zu geizig, eindeutig. Wenn sie eine Schauspielerin überhaupt zu sich nach Hause einladen, dann höchstens in ein schmieriges Apartment, in eine Liebeshöhle, aber niemals in ihr wirkliches Zuhause, in ihr wirkliches Leben.
Albert hält sich dezent im Hintergrund, füllt nur Wein nach, wenn nötig, und bringt nach und nach die einzelnen Gänge des ausgeklügelten Menüs aus der Küche.
Nur Albert, sonst will er heute kein Personal um sich herum haben. So wie immer, wenn er Gäste hat wie sie.
Der riesige Tisch nur für sie zwei.
Er hebt das Glas. »Auf Ihre Zukunft, Jeanette«, sagt er. Sie lächelt und prostet zurück. »Auf unsere Zukunft.« »Dann sind wir uns also einig?«
»Sie bieten mir viel Geld. Auch künstlerisch ist es eine Herausforderung, jetzt, in einer Zeit, da alle nur noch Tonfilme drehen. Wie könnte ich da widerstehen?«
Es geht ihr nur um das Geld, er sieht es in ihren Augen, die Kunst ist ihr völlig gleichgültig. Sie schweigt, als Albert den Obstsalat serviert. Sie spießt ein kleines grünes Fruchtstück auf ihre Dessertgabel, steckt es vorsichtig in den Mund und macht ein entzücktes Gesicht.
»Mmmh! Was ist das?«
»Yangtao. So etwas bekommen Sie sonst nur bei den Chinesen in der Kantstraße.«
»Sehr gut.«
»Und gesund.« Er nimmt ebenfalls eine Gabel. »Sie werden es nicht bereuen, wenn ich Sie unter Vertrag nehme«, sagt er. »Ich bin finanziell unabhängig und kann mich ganz der Filmkunst widmen.«
»Und Tonfilme sind für Sie keine Kunst?«
»Wie sollen sie das jemals werden?« Er hat ein bisschen zu laut gesprochen, sie schaut mehr überrascht als erschrocken, und er senkt seine Stimme. »Der Sprechfilm tötet die Kunst«, sagt er, »eine technische Mode, die aus dem Film, der es zu höchster künstlerischer Blüte gebracht hat, wieder ein Spektakel macht, ganz wie in den Anfängen, als Film nichts anderes war als eine Jahrmarktsensation. Sie aber sind eine Künstlerin, Sie müssen sich diesem Spektakel verweigern, Sie gehören nicht auf den Jahrmarkt!«
»Naja, verweigern. Ich weiß nicht. Ich möchte schon auch noch mit anderen drehen, einen Knebelvertrag unterschreibe ich nicht.«
»Das verlangt auch niemand von Ihnen.« Er lächelt.
»Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagt sie. »Ich bin Ihnen äußerst dankbar, dass Sie mir diese Möglichkeit bieten, dass Sie mich als Künstlerin ernst nehmen. Aber den neuen Entwicklungen kann ich mich deshalb nicht verschließen, das müssen Sie verstehen. Und Jahrmarktspektakel ... Ich weiß nicht, übertreiben Sie da nicht ein wenig?«
Er wundert sich nicht mehr, er hat mit einer solchen Antwort gerechnet, schon bevor er die Geldgier in ihren Augen gesehen hat.
»Ich verstehe Sie sehr gut«, sagt er. »Natürlich wollen Sie auch noch andere Filme drehen. Ich persönlich schätze Ihre älteren Filme nun einmal mehr als Ihren Sprechfilm, wenn ich das so offen sagen darf. Und solche Filme möchte ich wieder mit Ihnen drehen.« Er hebt das Glas und lächelt ihr noch einmal versöhnlich zu. Der Wirkung seines Lächelns kann er vertrauen und der Wirkung seiner Stimme. »Verzeihen Sie bitte, dass ich mich bei diesem Thema so echauffiere. Aber Film ... Film ist mein Leben.«
Das ist nur die halbe Wahrheit. Ohne Film wäre er tot, schon vor langer Zeit gestorben.
Der Tag, an dem er den Spiegel zerbrochen ...
Es knirscht, als seine Mutter auf die Scherben tritt. Sie bleibt stehen, inmitten des glitzernd gläsernen Scherbenmeeres, und schaut auf den blinden Rahmen, in dem nur noch einige wenige scharfgezackte Scherben stecken, ein Kranz aus gefrorenen Flammen. Ihre Stimme, aus weiter Ferne und doch ganz nah.
Was ist geschehen?, fragt sie.
Er antwortet nicht, er starrt sie aus toten Augen an, aus diesen toten Augen, die er nicht länger ertragen kann und die er vertrieben hat mit dem schweren Wasserglas, dessen
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