Der Sturm
willst, Richard, ist ein Geheimbund von Finanzwirtschaft, Datentechnik und Bankenaufsicht zur Rettung der Welt!«
Richard zuckte mit den Schultern: »So oder so. Katastrophische Willkür oder Vertrauen, mehr Möglichkeiten gibt es hier nicht.«
Es war fast Mitternacht, als die Gäste auf die 12th Street traten. Ein leichter Wind war aufgekommen, von Osten. Er trug Feuchtigkeit mit sich und den Geruch von Meer.
Richards Mobiltelefon klingelte: »Ja, Johan.«
»Du erinnerst dich an diesen deutschen Journalisten, der bei uns war, der mit dem langen Interview und« – jetzt zögerte Johan – »der mich so gründlich nach meiner Herkunft gefragt hat.«
»Ja, selbstverständlich.«
»Er ist tot, ermordet worden. Schon vor ein paar Wochen, aber sie haben ihn erst jetzt identifiziert. In Schweden hat ihn einer umgebracht, ausgerechnet in Schweden. Ich habe es gerade in den Zeitungen gelesen. Sorry, ich hab jetzt erst ’reingeschaut.«
Richard Grenier hielt verblüfft inne. Dann sagte er nur zwei Wörter:
»Oh, fuck.«
Zwanzig
Die großen Maschinen hatten den Hügel im vergangenen Jahr kahlgefressen. Die Kuppe über dem See, an den das kleine Gut Benigna Klints grenzte, stand ohne Bäume da. Noch waren die Spuren der Traktoren und Harvester im Boden zu sehen, tief hatte sich das Profil der groben Reifen in die weiche Erde zwischen den Steinen gedrückt. Aber überall, zwischen den langsam verrottenden Ästen der Kiefern und Fichten, die hier einmal gestanden hatten, breiteten sich bereits neue Pflanzen aus: Gras und Birken, Farn und Nesseln bunt durcheinander. Auf einem Felsen auf der Spitze des Hügels stand Benigna in Gummistiefeln und grüner Öljacke und blickte nach Süden.
»Schau mal, das sieht ja aus wie bei Nils Holgersson«, rief sie Ronny Gustavsson zu, der zurückgeblieben war, suchend auf den Boden schaute und einen geflochtenen Korb in der Hand hielt. »Unter uns die ganze Landschaft, wie ein Schachbrett aus Äckern und Wiesen, und hinter uns der Wald.«
»Bist du sicher, dass es hier Morcheln gibt?« Ronny ärgerte sich über sich selbst. Wieder war er auf einen Anruf hin gekommen, dieses Mal nicht zum Einrichten eines Druckers, sondern um Pilze zu pflücken. Hätte sie nicht allein gehen können? Er kam sich vor, als wäre er ein Lakei, ein Bediensteter, den man nur herbeiklingeln musste.
»Ja, klar, sie wachsen auf Kahlschlägen, das war immer so, und vor allem dort, wo alte Rinde liegt. Aber es pflückt sie keiner mehr.« Wie eine Ziege sprang Benigna auf einen anderen Stein. »Sie sind giftig, heißt es heute. Früher, als es nichts zu essen gab, haben die Leute sie kurz gekocht, mehrmals hintereinander, immer in frischem Wasser. Und keiner ist davon krank geworden, geschweige denn gestorben. Dabei sind sie unglaublich gut, man muss es nur genau so machen wie früher, einmal abkochen, zweimal abkochen, und das Kochwasser wegschütten.«
»Und wie findet man sie?«
»Schau auf den Boden. Vor allem dort, wo Rinde liegt. Sie leben von faulendem Holz.« Sie war jetzt auf festen Grund zurückgekehrt, nahm Ronny den Korb ab und schaute nach unten. Nach fünf, sechs Minuten bückte sie sich und hatte die erste Morchel in der Hand.
»Ich hab’s dir doch gesagt.«
»Du hast eben meistens recht, schon immer.« Der Satz klang bitter. »Gibst du mir den Korb?« Ronny hatte, direkt vor seinen Füßen, ein ganzes Nest mit Morcheln gefunden. Sie waren einfach da, so, als wären sie für ihn dort hingestellt worden. Er schnitt die Pilze mit dem Messer ab und legte sie in den Korb. »Da.«
»Ronny, wie geht es dir eigentlich?«
»Wie einer Morchel. Alt, von Faulstoffen lebend, mit einem schrumpeligen Kopf, immer schon da gewesen und so giftig, dass man mich mindestens zweimal abkochen muss, bevor ich genießbar werde. Trocknen geht übrigens auch, das habe ich im Netz gelesen. Aber es darf ganz und gar keine Feuchtigkeit übrig bleiben.«
Benigna musste lachen: »Du mit deinem Selbstmitleid.«
»Hast du eigentlich einen Liebhaber?« Dieses Lachen war die Gelegenheit, um eine Herzensfrage zu stellen.
»Lieber Ronny, das geht dich gar nichts an«, antwortete Benigna, »es geht dich ganz und gar nichts an, weder ob ich einen habe, noch wer das ist. Wenn ich einen hätte. Du bist es jedenfalls nicht.«
»Schon gut. Ich will es ja auch nicht wissen. Übrigens fahre ich nach Berlin, zu Lorenz.
»Zu wem?«
»Zu Lorenz Winkler.«
»Das ist nicht wahr. Unser Lorenz, aus Paris? Wie bist du denn auf die
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