Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Johansson
Vom Netzwerk:
verpfändet, nicht nur für zehn oder zwanzig, sondern für hundert oder zweihundert Jahre oder für noch viel mehr. Aber die Gegenwart ist immer noch da, und sie wird für die Zukunft in Haft genommen. Dann reicht ein Blinzeln, ein Zusammenziehen der Augenbrauen, eine unüberlegte Bemerkung eines mächtigen Akteurs in der Finanzwirtschaft – und schon stehen die Versprechen in Zweifel, und schon fallen die Kurse. Es hat vermutlich noch keine Ökonomie gegeben, die auf rationale Weise so irrational organisiert war, wie es die unsere ist, nicht einmal im Mittelalter.« Richard schaute hinaus durch die großen, in Eisen gefassten Fenster seines Lofts. Der Blick ging nach Süden, über die Dächer der gegenüberliegenden Häuser hinweg. Früher hatte man von hier aus die Türme des World Trade Centers sehen können.
    Eine Dreiviertelstunde sprach Richard. »Die größte Chance für einen geschickten Eindringling«, sagte er am Ende seines Vortrags, »besteht nicht im Einbrechen in Systeme und in der Nutzung vorhandener Daten. Die größte Chance besteht darin, die Verletzlichkeit des Systems grundsätzlich auszunutzen. Nein, man muss sagen: Verletzlichkeit ist das falsche Wort. Denken wir an den Hochfrequenz-Aktienhandel. Wer erkennt, wie nervös dieses System ist und wie nervös dieses System sein muss, weil es ökonomisch einfachen und in der Software komplizierten Algorithmen folgt, und wer die Technik beherrscht und wer dabei einen kühlen Kopf bewahrt und den Zufall zu ergreifen vermag, der kann alles produzieren, auch einen ökonomischen Weltuntergang. Und keiner wird sich darüber wundern.
    Das heißt: Ein einzelner Mensch, mit dem richtigen Wissen und in der richtigen Position, kann jederzeit einen Schaden in einer Größenordnung anrichten, wie ihn die Wirtschaftswelt noch nie gesehen hat.«
    Jetzt schwieg Richard. Er wusste: Alle seine Gäste hatten diesen Gedanken, in ihren finstersten Vorstellungen, schon einmal durchgespielt. Aber sie waren vor dieser Einsicht zurückgewichen. Sie hatten sie geahnt, aber nicht ernst nehmen wollen. Jetzt war das »Worst-case-szenario« eine reale Bedrohung geworden.
    Die Frau vom F. B. I. räusperte sich. »Das war ein sehr beeindruckender Vortrag«, sagte sie, »er hat zwar nur etwas formuliert, das wir alle wissen. Dies aber zum ersten Mal offen und klar ausgesprochen. In Wirklichkeit leben wir jeden Tag damit.
    Ich möchte Ihnen jetzt nicht zumuten, etwas über die Konsequenzen zu sagen, die aus dieser Lage zu ziehen sind. Denn dass die Lage elementar gefährlich ist, das liegt ja auf der Hand. Und trotzdem stelle ich die Frage, vielleicht mehr in die Runde als an Richard: Was tun? What is to be done?«
    In den Gesichtern der Anwesenden war leicht zu erkennen, dass jeder das Gleiche dachte wie die Frau von der Bundespolizei. Und dass jeder ratlos war.
    Richard ergriff noch einmal das Wort: »Diese Frage habe ich mir oft gestellt. Und je länger ich darüber nachdenke, desto weniger werden die Alternativen. Es gibt, fürchte ich, nur zwei Möglichkeiten, und die eine ist leicht, und die andere ist schwierig. Die eine besteht in einem System der Vorsicht. Leicht ist die technische Konsequenz: Wir müssen uns von den physischen Strukturen des elektronischen Finanzverkehrs lösen, wir müssen ein System schaffen, das jeden Unbefugten ausschließt und das überraschende Aktionen sichtbar macht, in ›real time‹, in dem Augenblick, in dem sie ausgeführt werden. Das kann man machen. Es ist überhaupt kein Problem, ein solches Projekt datentechnisch zu realisieren. Aber es setzt eine Art Aufsicht voraus. Und das ist die zweite Konsequenz, und sie zu verwirklichen grenzt an das Unmögliche: Die wichtigsten Akteure auf dem Finanzmarkt, und es sind ja nur einige wenige, werden sich miteinander verständigen müssen, sie werden einander Einblick in ihre Absichten geben müssen. Was wir brauchen, ist ein Bund des Vertrauens. Ich weiß, dass das den Grundsätzen der freien Markwirtschaft widerspricht. Und ich weiß nicht, ob die Politik so etwas garantieren kann. Vielleicht sollte man sie gar nicht fragen. Aber es wird ohne solche Absprachen nicht gehen.«
    Christine Worthamton musste lachen: »Das ist ja wie im achtzehnten Jahrhundert: Der Feudalismus läuft Amok, in seinen letzten Tagen herrscht der Adel in absoluter Sittenlosigkeit, schläft mit den Mägden und verschwendet das Geld. Und was entsteht? Das Freimaurertum, um endlich wieder Ordnung in die Welt zu bringen. Was du

Weitere Kostenlose Bücher