Der Sturm
deiner Schule, dass ich ein Verzeichnis der Schüler brauche, mit denen du hier warst.«
Pelle setzte sich in seinen Volvo, ließ den Motor aufjaulen und fuhr davon, viel zu schnell für diese staubige Straße. Eine große graue Wolke wehte hinter ihm her. Bertil hielt sich an einem Pfosten der Veranda fest und schaute ihm nach. Von der anderen Seite der Schotterstraße hörte er die jungen Kühe ihr Gras rupfen. Aus dem Wald rief ein Kuckuck. »Ich mag diesen Hof«, dachte er. »Wenn ich mit der Veranda fertig bin, mähe ich endlich die Wiese, mit dem neuen Rasenmäher. Oder besser, ich leihe mir Kurts kleinen Pflug und lege eine neue Wiese an. Die alte besteht ja sowieso nur noch aus Schafgarbe. Und im kommenden Jahr richte ich ein Gemüsebeet her, so wie Großvater eines hatte, nur kleiner, mit Salat und Möhren und Kräutern. Und der Duett, natürlich, den werde ich renovieren, so dass er wie neu ist, in Rot und Weiß, in den Originalfarben.«
Zweiundzwanzig
Ronny Gustavsson saß in der Osteria Ribaltone am Viktoria-Luise-Platz in Berlin und verstand sein eigenes Wort nicht mehr. Einer der Kellner rührte Nudeln in einem großen Rad aus Parmesankäse, in dessen Mitte ein Loch gegraben worden war. »Nachrichten sind Geld«, hatte der letzte Satz Lorenz Winklers gelautet, den Ronny im Lärm des kleinen Lokals noch verstanden hatte. »Nachrichtenwirtschaft ist Geldwirtschaft.« Danach waren, nach einer langen Wartezeit, die Tagliolini mit Salsicce gekommen. Und während er seine Nudeln aß, verlor sich sein Kopf in der Vorstellung, dass die Welt aus Nachrichten besteht, dass sie die Ereignisse, von denen sie berichten, nicht nur melden, sondern auch erschaffen, so dass ein Stirnrunzeln in Shanghai wirklich einen Kursfall in New York zur Folge haben kann. Außerdem hatte Lorenz ihm erklärt, in rasender Geschwindigkeit, dass die Zeitungen einen gewissen Stand im Umgang mit dem Geld – oder genauer: mit dem Kredit – darstellten, der nun längst überholt sei. Und je schneller das Geld werde, desto schneller werde auch die Nachrichtentechnik, weshalb Zeitungen eine fast schon magische Veranstaltung zur Bewahrung eines vergangenen Weltzustands seien. Beides, Geldverkehr und Nachrichtenverkehr, sei ja nicht voneinander zu trennen. Ronny überlegte, was diese Einsichten für seine Existenz bei »Skåneposten« bedeuten könnten: ein Leben auf einer verlorenen Insel? Vielleicht konnte er ja in einem zukünftigen Heimatmuseum als Wärter unterkommen.
»Bist du noch da?« Lorenz stieß ihn am Arm an.
»Ja«, brüllte Ronny zurück, »ich habe verstanden, dass ich nicht mehr vorgesehen bin in der großen Welt. Oder besser: dass man mir ein Museum widmen sollte. Vielleicht findet sich ja im Heimatmuseum von Osby noch eine Ecke für mich.«
»Du machst immer noch denselben Fehler wie früher«, lachte Lorenz. »Aber es geht nicht immer um dich.«
»Ich weiß. Sag mal, erklär mir eins: Dieser Chefredakteur hat doch eine Boulevardzeitung gemacht, nicht richtig ›Yellow Press‹, aber fast schon. Ich habe mir die Ausgabe von heute gekauft, und da gibt es jede Menge Krawall und Tote und Sex. Ich habe heute auch ein paar seiner Mitarbeiter kennengelernt, du weißt, auf dieser Tagung, zu der du mich geschickt hast, damit ich etwas lerne über Berlin, über die Gentrifikation am Prenzlauer Berg. Sie kommen aus der Provinz und leben in Wohnungen, die ihre Eltern finanziert haben. So etwas gibt es in Osby nicht, das sind schon seltsame Probleme – wenn ich Berlin so sehe, finde ich eher, dass es sich um eine Normalisierung der Stadt handeln muss, nicht um eine Gentrifizierung.«
»Du schweifst ab.«
»Entschuldigung. Diese Leute redeten jedenfalls gerne, und sie haben dieselben Theorien zum Tod ihres Chefs, die man auch in den Blogs lesen kann: Er sei geflüchtet, das ist die eine Theorie. Die Leute, die ihn über die Jahre hinweg mit Material für seine Phantasien versorgt hätten, hätten endlich eine Rendite sehen wollen. Die andere Theorie ist, dass diese Reise irgendetwas mit einem Sexchat zu tun haben soll, bei dem er betrogen wurde. Tatsächlich hat sie die Berliner Polizei alle einbestellt und sie systematisch ausgefragt.«
»Kann ich mir nicht vorstellen, dass an diesen Theorien etwas ist. Der Mann war zwar Boulevard, aber er hat ihn offensiv betrieben, wie einer, der weiß, was er tut – er wäre nie selber Boulevard gewesen. Du musst dir auf Youtube mal ein paar alte Clips anschauen, Aufnahmen von
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