Der Sturm
mehrere tausend Menschen zu Gustav Adolfs Torg im Stadtzentrum. Sie trugen Plakate mit Aufschriften wie »Wo ist die Polizei? Wo ist die Sicherheit?« oder »Stoppt die Gewalt« oder »Denkt an unsere Kinder«. In der Mitte des Platzes bildeten sie einen großen Kreis, auf dem Hunderte von Grablichtern abgestellt wurden, zum Gedenken an die Toten und damit es irgendetwas gab, das diese Menschenmenge zusammenhielt.
Denn es sollten ja keine Reden gehalten werden, kein Politiker sollte seinen Nutzen aus dieser Demonstration ziehen können. Eine Stunde standen die Menschen herum, gruppierten sich um die Angehörigen der Toten. Ein paar von ihnen weinten, unsicher, was jetzt zu tun sei. Dann gingen sie auseinander, die meisten von ihnen in dem Gefühl, etwas ganz und gar Unzureichendes getan zu haben. Denn was ist das, eine Demonstration, die sich nicht gegen etwas Bestimmtes richtet, sondern nur Botschaften ohne Adressaten in die Welt schickt?
Am Morgen darauf fanden die beiden Dänen, die in ihrem Wohnmobil über dem Bunker für die Gemeindeverwaltung von Osby wohnten, nach dem Einkaufen im Supermarkt ihren kleinen weißen West Highland Terrier mit den schwarzen Knopfaugen an die Tür genagelt. Das Tier lebte noch und fiepste jämmerlich, obwohl die Täter die Schnauze mit braunem Klebeband umwickelt hatten. Der Mann besaß gerade noch so viel Fassung, dass er die Polizei alarmieren konnte. Als die beiden Stadtpolizisten wenige Minuten später am Wohnwagen eintrafen, fanden sie die Frau kreischend auf dem Waldboden kniend, immer wieder grelle Schreie nach »Kevin, Kevin« ausstoßend, während der Mann hilflos versuchte, sie irgendwie zu beruhigen.
Die beiden Polizisten überließen die beiden zunächst ihrer Verzweiflung und kümmerten sich um den Hund. Dieser war, wie sie bald herausfanden, mit Dutzenden von kleinen Klammern an die Tür geheftet worden, mit einem Akku-Tacker, so wie ihn Polsterer oder Dachdecker benutzen. Ein Polizist ging zurück zum Streifenwagen, holte einen Schraubenzieher heraus und begann, die Klammern herauszudrücken, die durch die Ohren und das Fell des Terriers geschossen worden waren, während der andere beruhigend auf das Tier einredete. Es dauerte nur ein paar Minuten, bevor der Hund befreit war und zitternd, mit eingezogenem Schwanz, in die Arme seines kreischenden Frauchens flüchtete. Wie ein Lauffeuer ging danach die Nachricht von diesem Verbrechen durch die Stadt, und die Aufregung steigerte sich noch mehr, als die Polizei nach wenigen Stunden der für die Untat benutzten Heftmaschine auf die Spur gekommen war und drei junge Burschen aus dem Kosovo verhörte.
Es hatte wohl ein solches Ereignis gebraucht, damit das Bewusstsein, in kriminellen Verhältnissen und nicht weit von Malmö zu leben, auch in der Provinz ankam. Am Tag darauf schrieb Mats Eliasson in »Skåneposten« einen Leitartikel zur Lage des Verbrechens in Südschweden: Der an eine Tür genagelte Hund des dänischen Paares, der Einbruch bei Ronny Gustavsson, das gestohlene Fahrzeug des Belgischen Möbelhändlers, der Tote in der Scheune von Visseltofta, alle diese Ereignisse fügten sich zu einem Bild der zunehmenden sozialen Verwahrlosung und der wachsenden Kriminalität. Immer mehr Leser der Zeitung, schrieb Mats Eliasson, befürchteten, das Verbrechen erobere nach den großen Städten nun auch den Nordosten Schonens. So sei es aber sicher nicht, auch wenn es in jüngster Zeit einige aufsehenerregende Gewalttaten gegeben habe. So etwas aber sei möglicherweise der Preis des Reichtums, meinte er weiter, der Tribut für ein modernes Leben. Und Schonen sei im Grunde nicht anders als andere schwedische Provinzen, die Region liege eben an der Grenze zum »Kontinent«, und überhaupt, es gebe so auch hier viele Bürger, die ihre Heimat liebten und gegen keine andere tauschen wollten. Der Artikel endete mit dem Satz: »Wir müssen einen kühlen Kopf behalten, aber ein warmes Herz.«
Zwei Tage später wurden, auf der Kreuzung gegenüber dem Hauptbahnhof in Malmö und mitten im abendlichen Berufsverkehr, der Anführer eines international operierenden Motorradclubs und dessen Freundin getötet, beide Schweden, als sie in ihrem Auto vor einer Ampel warteten. Ein Motorrad mit zwei Männern darauf hielt neben ihnen, der Sozius zog eine Pistole und schoss durch die geschlossene Seitenscheibe. Wiederum zwei Tage später brannte das Lokal eines anderen Motorradclubs am Stadtrand nieder. Jemand hatte mit einer Panzerfaust
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