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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Johansson
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davonschwamm.
    »Das heilt«, sagte Ronny zuversichtlich, »und beim nächsten Mal weiß er, was ein Haken ist. Komm, wir müssen unsere Sachen packen, sonst kommen wir zu spät.«
    Für eine Woche hatte Lorenz ein Häuschen am Fluss gemietet, eigentlich von Ronny mieten lassen, der aus seiner Kindheit ein paar der Bauern in der Nachbarschaft kannte. Tagsüber hatte Lorenz geschrieben, war spazierengegangen, hatte weitergeschrieben. An den Abenden war dann Ronny herübergekommen, und sie hatten auf der Veranda gesessen, bei geöffneten Fenstern, vor denen Mückennetze gespannt waren. Eine neue Vertrautheit war zwischen den beiden entstanden, freundlich und entspannt saßen sie zusammen, redeten und tranken. Manchmal saßen sie auch nur mit ihren Computern nebeneinander, und während Ronny seine Musiksammlung auf seinem neuen Notebook ordnete oder durchs Netz surfte, schrieb Lorenz an seinen Aufsätzen oder forschte der jüngsten Technik im Computerhandel mit Aktien hinterher. Es gab Stunden, da dachte Ronny, das Älterwerden sei gar nicht so schlecht.
    »Muss man sich fein anziehen, wenn man zu einem Baron geht?«, fragte Lorenz.
    »Ich weiß nicht. Ich habe ihn auch nie getroffen. Aber wir sind ja nicht zu einem Abendessen eingeladen, sondern zum Tee. Ein Sakko muss reichen, ich habe auch nichts anderes.«
    Wilhelm af Sthen besaß Ekeby Gård, eines der über zweihundert Schlösser in Schonen, zwanzig Kilometer südöstlich von Kristianstad gelegen. Die Strecke dorthin hätte Ronny bald mit geschlossenen Augen fahren können, so oft war er in den vergangenen Jahren zwischen Osby und der Zentralredaktion hin- und hergependelt. Erst hinter Kristianstad geriet er auf auch für ihn neues Gelände, am Flughafen Kristianstad vorbei bis nach Everöd, von dort auf einer kleinen Straße bis nach Östra Sönnarslöv und Huaröd, kleinen Dörfern mit großen weißen Kirchen in einer kleinteiligen, abwechslungsreichen Landschaft, in der sich Buchenwälder, Felder und Wiesen mischten.
    »Ich habe nie darüber nachgedacht«, sagte Lorenz, während sie durch dieses schwedische Idyll fuhren, »dass man, wenn man im Wald ist, den Horizont nie sieht. Es gibt keine freien Flächen, die groß genug wären, es stehen überall Bäume. Vielleicht mögen die Deutschen deswegen Schweden so sehr, weil sie den Horizont nicht mehr ertragen. Sie wollen nicht mehr wissen, was kommt.«
    »Es gibt in Schweden Berge, aber nur im hohen Norden.«
    »Der Wald ist eine große Höhle, und darin wohnt der Troll«, sagte Lorenz.
    »Sag mal, wer hat eigentlich ›Albatross‹ geschrieben, du weißt schon, dieses Gitarrenlied von ›Fleetwood Mac‹?«
    »Peter Green, glaube ich, warum?«
    »Er soll hier gelebt haben, vor ein paar Jahren.«
    »Er hat, glaube ich, auch ›Black Magic Woman‹ geschrieben und wurde dann verrückt, nachdem er zu viel LSD genommen hatte.«
    »Genau der. Im Radio habe ich einmal gehört, er habe mindestens drei Jahre hier gelebt, bis ungefähr 2008 . Er soll hauptsächlich geangelt haben. Geld genug wird er ja gehabt haben.«
    »Erstaunlich.«
    Schließlich tat sich ein weites Tal auf, dem die Straße auf der linken Seite folgte. Dort stand auf einem Hügel eine weitere weiße Kirche. Ihr Portal aber hatte sie keinem Dorf zugewandt, sondern einer Straße, die im rechten Winkel von derjenigen abbog, auf der Ronny unterwegs war. Und was für eine Straße das war: Schnurgerade führte sie einen kleinen, gut hundert Meter hohen Berg hinauf, auf einer Rampe, die aus großen Feldsteinen gefügt war, über eine Entfernung von mindestens einem, wenn nicht eineinhalb Kilometern, bis sie in einem Buchenwald verschwand.
    Ronny hielt an, überrascht, erstaunt. »Das müssen Riesen gebaut haben, vor tausend Jahren«, sagte Lorenz, gleichermaßen verblüfft. Langsam näherten sie sich der Kreuzung, an der ein schlichter weißer Wegweiser mit einem schwarzen Rahmen den Hang hinaufzeigte: »Ekeby Gård« stand darauf. Ronny lenkte den Wagen auf den Damm und fuhr dann langsam hinauf wie über eine Brücke. Die Außenmauern bildeten eine mindestens einen Meter hohe Brüstung und begrenzten die Straße in großzügiger Breite. Als die Straße den Wald auf der Kuppe des kleinen Berges erreicht hatte, einen Mischwald aus uralten Buchen, Eichen und Fichten, zog sie eine lange Kurve, führte noch ein kleines Stück hinauf und endete schließlich in der Zufahrt zu einer dreiflügeligen, zweistöckigen Schlossanlage, die – auf ebendieser Anhöhe –

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