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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Johansson
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diesem Gespräch zuletzt mit wachsendem Unbehagen zugehört. Ronny sah, wie Katarinas stets beherrschtes Gesicht noch blasser wurde, als es ohnehin schon war. Eine große Kälte legte sich für einen Augenblick über die Gruppe, und Ronny murmelte in sich hinein, aber so, dass Benigna es hören musste: »Und ich hatte gedacht, den Sozialistischen Kampfbund Osby gäbe es nicht mehr.«
    Benigna beeilte sich, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, sprach über Landwirtschaft und Wald, über den schwedischen Sommer, über ein paar kleine Reisepläne, fragte Lorenz nach seiner Laufbahn, seiner Arbeit, nach Berlin, bis die Begegnung einem Gespräch beim Tee unter alten Freunden glich. Als man aufbrach, um kurz nach sieben Uhr abends, lud Wilhelm seine Gäste zu der großen Konferenz über die Zukunft der Datennetze ein, die er im September auf seinem Schloss veranstalten wollte.
    »Und, du hältst doch einen Vortrag, nicht wahr?«, sagte er zu Lorenz. Dieser nickte.
    »Wenn ich nichts ganz Neues schreiben muss. Und darf ich fragen: Gibt es ein Honorar?«
    »Selbstverständlich. Arbeit muss bezahlt werden, das ist doch klar. Und etwas Wiederverwertetes taugt auch. Die Diskussion ist dann sowieso wichtiger.«
    Zusammen gingen sie die Treppe hinunter und über den Hof, wo Wilhelm stehen blieb und winkte, bis beide Autos, der alte Toyota und das Mini-Cabriolet, in Richtung der großen Rampe verschwunden waren.
    »Mon Dieu, das war ja gespenstisch«, sagte Lorenz, als er sich wieder sicher wähnte und die Nähe des Freundes suchte.
    »Du meinst, diese Phantasien von Revolte?«
    »Ja, die auch. Und dieser Hulk, der da unten bei den Computern stand. Aber vor allem: hast du seine Augen gesehen?«
    »Wessen Augen? Die des Hulks?«
    »Nein, Wilhelms.«
    »Ja, was ist damit?«
    »Katarina hat die gleichen.«

Zweiunddreißig
    Es wurde kein schöner Sommer für Ronny Gustavsson. Er war viel allein. Benigna Klint war, wie so oft in der warmen Jahreszeit, verreist. Nach Norditalien hatte sie fahren wollen, ins Veneto, und sie hatte ihre Tochter mitgenommen. Einmal schickte sie ein paar Fotografien, aus Asolo, wo sie sich offenbar in einem ›Agriturismo‹ eingemietet hatte. Auf mehreren dieser Bilder war auch ein Mann zu sehen, offenbar etwas jünger als Benigna, gut gekleidet, schlank, mit einem freundlichen, südländischen Gesicht und einem Glas Weißwein in der Hand. Ronny wollte gar nicht wissen, ob das der Vermieter war oder ob dieser Mensch noch eine andere Rolle im Leben Benignas spielte.
    Lorenz Winkler meldete sich nur sporadisch, und wenn er das tat, meistens mit Nachrichten über Bücher, die er gerade las, und mit neuen Gerüchten über Christian Meier. Die Dokumentationen im Internet waren immer abstruser geworden, sie enthielten jetzt auch Informationen über die Lieblingsdesserts und die Krawatten des toten Chefredakteurs. Doch alles, was Ronny hatte begeistern können, während er mit Lorenz zusammen gewesen war, diese vielen gewaltigen Verschwörungstheorien – sie wirkten nun weit entfernt, wie aus einer anderen Welt und aus einer anderen Zeit. Ronny ging oft hinaus zu seiner Mutter, in das Altersheim am See, und die alte Frau begrüßte ihn mit gleichbleibendem Interesse, mit guter Laune und Fürsorge. Als er Geburtstag hatte – er wurde neunundvierzig Jahre alt – erhielt er eine Gratulation per Mail von Mats Eliasson, und seine Mutter kochte für ihn – etwas Gutes, wie sie sagte, einen richtigen Sonntagsbraten, und neben seinem Teller lag ein Briefumschlag mit einem Fünfhundert-Kronen-Schein, so wie in jedem Jahr. Manchmal vermisste er die Anrufe und plötzlichen Befehle von Benigna, ihre herrischen Auftritte, und war doch froh darüber, dass sie sich nicht meldete.
    Aber immer wieder grübelte er darüber nach, wer Katarinas Vater hätte sein können. Wie gerne hatte er sich früher selber erklärt, sie müsse aus einer der vermutlich vielen vorübergehenden, vielleicht beinahe zufälligen Verbindungen stammen. Dass Wilhelm af Sthen womöglich ihr Vater war, dieser Verdacht hatte Ronny unvorbereitet und tief getroffen, und er hatte sich in eine nagende Unruhe verwandelt. Er forschte Katarina hinterher, besuchte Facebook, ging immer wieder ihre Seite durch und auch die Seiten ihrer Freunde. Er verglich ihre Bilder mit Fotografien Wilhelms. Er hätte gern mit Benigna geredet. Dabei wusste er, dass sie nie mit ihm über Katarinas Vater gesprochen hätte.
    Zwei Wochen musste er noch in den Ferien

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